Ekel / Leichensache Kollbeck
einen der vorderen Plätze in der Welt ein. Da die Bevölkerung aber einen Anteil von 19 % Kindern und 17 % Alten aufwies, deren Alkoholverbrauch praktisch vernachlässigt werden konnte, treffen die Angaben tatsächlich auf die verbleibenden 64 % der Menschen zu.
Dieser hohe Alkoholkonsum stand in enger Beziehung mit der Zunahme des Alkoholmißbrauchs und der Alkoholkrankheiten. Die SED-Führung verfolgte die Entwicklung mit großer Besorgnis. Sie konnte schließlich nicht umhin, das Problem öffentlich anzusprechen. In ihrem Programm postulierte sie 1976 deshalb: „Die Partei fordert dazu auf, einen entschiedenen Kampf gegen Rechtsverletzungen, gegen asoziales Verhalten und Rowdytum sowie gegen Alkoholmißbrauch zu führen.“
Auch im Kriminalitätsgeschehen widerspiegelte sich diese verhängnisvolle Entwicklung: Ein Drittel der vorsätzlichen Tötungsdelikte, über die Hälfte der Körperverletzungen und Raubdelikte, mehr als 60 % aller Vergewaltigungen wurden durch Täter begangen, die nicht nur zur Tatzeit unter erheblichem Alkoholeinfluß standen, sondern auch sonst zu den chronischen Trinkern zählten. Besonders auffällig war der hohe Anteil (bis 80 %) an alkoholisierten Tätern bei den Verkehrsdelikten.
In den Monaten nach der Scheidung zwingt sich Werner Teichmann zu einer gewaltigen Selbstdisziplin. Ständig muß er sich darauf konzentrieren, Alkohol zu meiden. Er ist sich klar, welche Gefahren ein Rückfall heraufbeschwören würde. Dann wäre der endgültige Ruin nicht mehr zu verhindern. Mit diesen Überlegungen entfaltet sich aber auch ein ungeheurer Sog, dem er sich in jeder Stunde des Tages widersetzen muß. Er weiß, daß der Alkohol ihm für kurze Zeit zwar eine dumpfe Entspannung und Ablenkung von seinem verpfuschten Leben verschaffen könnte, sogleich aber würde das ganze Elend der letzten Zeit wieder über ihn hereinbrechen.
Dann gibt ihm das Schicksal eine neue Chance: Im Wartezimmer seines Arztes lernt Werner Teichmann eine Frau kennen. Sie hat bereits vor Jahren eine schwere Medikamentenabhängigkeit erfolgreich überwunden, nachdem sie in die schier endlose Tiefe der gesundheitlichen und sozialen Selbstzerstörung gestürzt war. Längst geht sie wieder ihrem Beruf als Friseuse nach und niemand bemerkt eine Spur ihres vergangenen Elends. Ihm imponiert die Stärke und Zuversicht dieser Frau, nach zerbrochener Psyche und gescheiterter Ehe ihr Leben neu geordnet zu haben.
Diese Frau ist seine Hoffnung, sein Halt. Durch sie kehrt sein Selbstvertrauen zurück. Er glaubt plötzlich, die Fähigkeit zu besitzen, sein Trinkverlangen fast mit Leichtigkeit unterdrücken zu können. In ihrer Gegenwart wirkt er heiter und lebensbejahend. Das gefällt ihr. Ein Funke inniger Zuneigung springt wechselseitig über. Und es dauert nur wenige Monate, bis sie zusammenziehen. Werner Teichmann ist glücklich. Lange Zeit widersteht er allen Versuchungen des Alkohols. Jetzt arbeitet er wieder fleißig und unauffällig in seinem Verkaufsbereich für Herrenoberbekleidung und entzieht sich mit eiserner Disziplin den feuchtfröhlichen Zusammenkünften seiner Kollegen.
Bereits Anfang des Jahres 1969 heiratet Werner Teichmann die Friseuse Inge Werder. Neun Monate später wird er Vater des Sohnes Benjamin. Nun beginnt ein Leben in familiärer Harmonie, ganz nach seinen Vorstellungen. Zu seiner Frau und zu dem kleinen Sohn entwickelt er ein inniges Verhältnis. Selbst die Beziehung zu seiner erwachsenen Tochter erfährt eine freundliche Renaissance.
Er hat sein Leben total umgestellt. Und seine Frau wacht darüber mit Hingabe, daß es so bleibt. Denn das teuflische Tabu gebietet ihm, bis zu seinem letzten Atemzug jeglichen Tropfen Alkohol zu meiden. Aber nicht nur von Bier, Schnaps, Wein und Sekt muß er sich konsequent fernhalten. Auch Mundwasser, Konfekt, Kuchen, Desserts oder Arzneitropfen, wenn sie auch nur geringe Mengen von Alkohol enthalten, können bereits den verhängisvollen Rückschlag auslösen. Selbst dem Duft aus einem Fläschchen Rasierwasser oder Parfüm, dem Geruch von frischer Lackfarbe oder Verdünnungsmitteln muß er widerstehen, anderenfalls könnte ihn der schnöde Trinkzwang besiegen. Fleiß und Ehrgeiz führen wieder zu beruflichen Erfolgen, Frau und Kind sind der moralische Halt, daß Werner Teichmann die nächsten Jahre unbeschadet übersteht.
Im späten Frühjahr des Jahres 1973 bricht plötzlich das scheinbar überwundene Leiden mit voller Gewalt hervor: Volltrunken kommt er weit nach
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