Ekel / Leichensache Kollbeck
Dienstschluß heim. Die Gattin ist zutiefst unglücklich und enttäuscht. Aber sie kennt das tückische Krankheitsbild des Alkoholismus, will nicht resignieren. Mit dem Arzt berät sie den Plan, wie sie ihren Mann mit allen Mitteln abstinent halten kann, versucht, die absolute Kontrolle über ihn auszuüben. Doch die Krankheit hat bereits ihren verhängnisvollen Lauf genommen. Sein Rausch dauert mehrere Tage. Danach fühlt er sich hundeelend, wird von Angst gepeinigt, zittert am ganzen Körper. Auch das Gehen fällt ihm schwer. Manchmal versagt sein Gleichgewicht, dann stößt er gegen alle möglichen Hindernisse.
Erst nach einigen Wochen im Krankenhaus bessert sich sein Zustand. Er läßt sich vom Arzt bald gesundschreiben, geht wieder arbeiten. Aber die Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten fällt ihm unendlich schwer. Sein Gesicht ist eingefallen und fahlblaß. Schnelle Ermüdbarkeit, Erschöpfung und Konzentrationsschwäche stellen sich ein.
Er glaubt, sich nur dann besser zu fühlen, wenn er getrunken hat. Folglich dauert es nicht lange, und er greift wieder zum Alkohol. Freilich läßt der Katzenjammer nicht lange auf sich warten. Hoffnungslosigkeit und ständige Selbstvorwürfe, versagt zu haben, stimmen ihn so depressiv, daß er sich das Leben nehmen könnte. In den vielen schlaflosen Nächten kämpft er gegen derlei Gedanken, verdrängt sie für kurze Zeit, wird aber bald wieder von ihnen bestürmt.
Der Ehefrau gelingt es nicht mehr, ihn zu einem Arztbesuch zu bewegen. Ihre bisherige Überzeugungskraft, ihm auch in dieser schweren Zeit zur Seite zu stehen und mit ihm gemeinsam die steinige Wegstrecke zu meistern, bleibt nunmehr ohne Wirkung. Werner Teichmann benötigt sein tägliches Quantum Alkohol. Dann ist für kurze Zeit das Leben einigermaßen erträglich. Gleichzeitig weiß er aber, daß dies ein langsamer Selbstmord ist. Der Teufelskreis schließt sich.
Anfang des Jahres 1975 wird er wieder ins Krankenhaus eingeliefert: Seine Leber ist bereits chronisch geschädigt. Monatelang dauert die Behandlung, ehe sich sein Zustand etwas bessert. Er wird invalidisiert, der jahrelange Abusus hat das Nervensystem und die Leber so geschädigt, daß er nicht mehr erwerbsfähig ist. Ein weiterer progressiver Verlauf könnte sein Leben schnell beenden. Aber die akute Lebensangst mobilisiert die letzten Widerstandskräfte gegen den Alkohol, und tatsächlich trinkt er seit dieser Zeit nicht mehr.
Seine Rente ist zwar nicht üppig, aber zusammen mit dem Lohn seiner Frau reichen die Einkünfte für ein bescheidenes Leben. Von nun an ist er ständig zu Hause, besorgt die Einkäufe, kümmert sich um den Haushalt, beaufsichtigt die Schulaufgaben des Sohnes Benjamin und entlastet so seine Gattin von dem täglichen Kleinkram. Laufende Kontrolluntersuchungen und das gewissenhafte Einhalten der ärztlichen Verordnungen verlangsamen das Fortschreiten der schweren Folgeschäden seines Alkoholismus.
Im Frühjahr 1978 trifft Werner Teichmann ein harter Schicksalsschlag: Seine Frau bricht eines Tages im Frisiersalon zusammen. Herzinfarkt, ist die lakonische ärztliche Diagnose. Sie überlebt die nächste Nacht nicht mehr. Werner Teichmann ist verzweifelt: Er hat eine treue, verständnisvolle und Zuversicht ausstrahlende Begleiterin verloren, die ihn, der bisher immer nur enttäuschte und versagte, über viele Jahre hinweg mit gleichbleibender Geduld zum Weiterleben ermutigen konnte.
Jetzt ist ihm nur noch sein neunjähriger Sohn Benjamin geblieben. Ihm möchte er zwar ein guter Vater sein, ob er aber die Ausdauer und Kraft für eine ordentliche Erziehung aufbringen kann, bezweifelt seine Tochter. Sie geht ihrem Vater so gut es geht zur Hand. Doch ihre Unterstützung kann nur sporadisch sein, sie muß sich um ihre eigenen Familienbelange kümmern. Benjamin ist sich viel selbst überlassen, die schulischen Leistungen lassen merklich nach. Und der Klassenlehrer ist höchst unzufrieden, bittet den Vater zu einer Aussprache. Doch der ignoriert das Warnsignal. Werner Teichmann wird immer kraftloser und gleichgültiger. Statt dessen ergreift wie eine unwiderstehliche Macht nur ein einziger Gedanke Besitz von ihm, dem elenden Dasein selbst ein Ende zu setzen. Anfangs sind diese Überlegungen diffus, ohne konkrete Konturen. Sie werden durch das schlechte Gewissen gedämpft, seinen Sohn in dieser Welt dann allein zurückzulassen.
Am Vormittag des 1. September 1979, es ist der erste Schultag nach den großen Ferien und Benjamin ist
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