Ekel / Leichensache Kollbeck
herschnüffelt, seine Geldausgaben überprüft, den Weinbrand vor ihm versteckt, weil sie meint, er entwickle sich zum Säufer, nur weil er gelegentlich mal über den Durst trinkt. Sie glaubt ihm nicht, daß er jederzeit mit dem Trinken aufhören könnte, wenn er es wolle. Freilich lasse er sich den Zeitpunkt dafür nicht von anderen aufzwingen. Überhaupt empfindet er die Ehe nur noch als ein duldendes, leeres Nebeneinander. Die Tochter hat schon längst die Partei der Mutter ergriffen.
Die alkoholischen Ausschweifungen bleiben der Nachbarschaft nicht mehr verborgen. Zwei- bis dreimal im Monat torkelt Werner Teichmann volltrunken und lautstark nach Hause. In diesem Zustand ist er äußert gereizt, tobt sogar herum, wenn nichts zu trinken da ist. Ansonsten gießt er sich dann restlos zu. Es dauert nur wenige Augenblicke und er fällt auf der Stelle um. Anfangs bugsierte die Gattin ihren schweren Mann noch ins Bett, doch diese Zeit ist längst vorüber. Jetzt überläßt sie ihn seinem erbärmlichen Zustand. Es kostet schon sehr viel Kraft, den Ekel zurückzuhalten, wenn sie die übelriechenden Ausstoßungen seines Magens vom Teppich wischen muß. Dann empfindet sie tiefen Haß gegen ihn.
Die Katerstimmung der folgenden Tage, die ihn in eine ungewöhnliche Sanftmut versetzt, stimmen sie wieder versöhnlich. Depressionen, Selbstvorwürfe und Reue verleiten ihn zu hochheiligen Versprechungen, der Trinkerei restlos abzuschwören. Und eine Zeitlang hält dann das von Mitleid erweichte Herz der Gattin wieder zu ihm. Doch die alkoholfreien Intervalle im Leben des Werner Teichmann schrumpfen immer mehr zusammen. In der Tat trinkt er nicht mehr so viel auf einmal. Aber er hat nur die Taktik geändert: Um Schlaflosigkeit, Vergeßlichkeit und körperliche Unruhe zu besiegen, aber auch, um die Belastungen des beruflichen Alltags zu meistern, ist ein gewisse Tagesration Wodka nötig. In eine unauffällige Mineralwasserflasche umgefüllt, verteilt er sie über den Tag.
Im Frühjahr 1966 wird Werner Teichmann vom Parteisekretär und dem BGL-Vorsitzenden des CENTRUM-Warenhauses zu einer Aussprache gebeten. Die Funktionäre appellieren an seine politische Einsichtsfähigkeit, daß die ständige Sauferei die Arbeitsmoral im Warenhaus untergräbt und die Produktivität hemmt. Er soll sich als Mitglied der SED die Gebote der sozialistischen Moral und Lebensweise zu eigen machen und sich gegenüber den parteilosen Kollegen vorbildlich verhalten. Anderenfalls wird ein Parteiverfahren gegen ihn eröffnet. Dann wird die Auseinandersetzung mit ihm vor der Mitgliederversammlung erfolgen.
Werner Teichmann versteht diese Drohung nur zu gut. Doch zum ersten Mal gesteht er sich ein, ohne Alkohol nicht mehr auszukommen, hält seinen Zustand für behandlungsbedürftig. Er verspricht, umgehend den Betriebsarzt aufzusuchen und das Problem mit ihm zu beraten. Die Funktionäre sind zufrieden. Die Diagnose des Betriebsarztes ist eindeutig: Alkoholische Toxikomanie steht auf dem Überweisungsschein zur stationären Aufnahme in das Wilhelm-Griesinger-Krankenhaus in Biesdorf. Drei Monate lang erleidet Werner Teichmann die endlosen Qualen des Alkoholentzuges. Dann kehrt er wie ein neuer Mensch heim, voller Ideen und Zukunftspläne. Er arbeitet wieder wie früher und alle Kollegen bewundern seinen eisernen Willen, kein einziges Gläschen mehr zu berühren. Doch das heilige Versprechen zerrinnt wie eine Fußspur in feinem Sand. Nur ein halbes Jahr dauert die erzwungene Abstinenz. Er beginnt wieder, heimlich zu trinken. Die Gattin kündigt ihm die eheliche Treue und Gemeinschaft, wenn er in den alten vertrackten Zustand zurückfallen würde. Um nichts auf der Welt will sie die unerträglichen Belastungen der Vergangenheit noch einmal ertragen. Dieses Damoklesschwert, das drohend über seiner Ehe schwingt, nimmt Teichmann nicht wahr. Nichts kann die unheilvolle Entwicklung mehr verhindern.
Im Jahre 1968, Teichmanns Tochter ist inzwischen 18 Jahre alt und bereits zu ihrem Freund gezogen, reicht die Ehefrau die Scheidung ein und verläßt den noch Angetrauten. Wenige Monate darauf ist der juristische Akt vollzogen. Von nun an ist sich Werner Teichmann selbst überlassen.
Die DDR war nicht nur ein Land der Arbeiter und Bauern, sie war auch ein Land der Trinker. Der Alkoholverbrauch hatte besorgniserregende Ausmaße angenommen. Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von durchschnittlich 150 Litern Bier, 15 Litern Spirituosen und 11 Litern Wein nahm die DDR
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