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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
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unbekümmerten Schuljahren in seiner Heimatstadt Berlin folgt jenes lebensbedrohliche Hin- und Herpendeln zwischen Klassenzimmer und Luftschutzkeller. Kindheit in diesen Jahren bedeutet nur selten fröhliches Ballspiel. Die Pausen zwischen Entwarnung und erneutem Fliegeralarm gelten dem eifrigen Auflesen von Granatsplittern, die ihr Ziel verfehlten. Sorgsam in Schachteln aufbewahrt, nach Größen sortiert, sind sie begehrte Tauschobjekte kindlicher Sammlerleidenschaft. Die Eltern evakuieren den kleinen Werner zu Verwandten in den Spreewald. Dort muß er sich zwar wieder auf neue Lehrer und Mitschüler einstellen, doch der Kriegslärm ist nicht ganz so laut.
    Kaum hat er die Grundschule beendet, muß der Heranwachsende seinen sinnlosen Dienst zur Verteidigung des Deutschen Reiches leisten. Körperlich unversehrt übersteht er das Drama des Krieges. Doch die Eltern in Berlin überleben die schweren Straßenkämpfe der letzten Kriegstage nicht. Sie werden unter den Trümmern des eigenen Hauses begraben.
    Werner Teichmann beginnt eine Lehre bei einem Schneidermeister im Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Es ist die Zeit der Wendungen, Änderungen und Umgestaltungen, auch an der Bekleidung. Der geschickte Umgang mit Nadel und Faden ist lebenserhaltend. Doch Stromsperren, fehlendes Material und schlechte Entlohnung machen Arbeit und Leben schwer. Trotzdem sind es für Teichmann nicht die Hungerjahre, wie sie andere durchleben müssen. Bald ist er ein fleißiger und zuverlässiger Gehilfe in der kleinen Werkstatt. Deshalb verspricht der Meister, ihm irgendwann einmal die Werkstatt zu vermachen. Aber der ist rüstig und denkt noch lange nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen. So vergeht die Zeit. Im Jahre 1948, Werner Teichmann ist gerade 22 Jahre alt, heiratet er eine gleichaltrige Kindergärtnerin. Deren Eltern überlassen dem jungen Paar ein kleines Zimmer. Zunächst geht alles gut, das Leben ordnet sich. Doch die Harmonie ist nur von kurzer Dauer. Die jungen Eheleute beginnen, sich immer öfter zu streiten. Auch die Schwiegereltern mischen kräftig mit. Allmählich verkürzen sich die Abstände zwischen den Auseinandersetzungen. Doch dazwischen flammt die alte Liebe wieder auf.
    Mit der Gründung der DDR im Jahre 1949 verlagert sein Meister Werkstatt und Wohnort in den benachbarten Stadtbezirk Wedding, der zu Westberlin gehört. Von nun an wird Teichmann sogenannter Grenzgänger, wohnt im Osten und verdient seinen Lebensunterhalt im Westen. Er bringt nun verhältnismäßig viel Geld nach Hause, sorgt für einen bescheidenen Wohlstand. 1950 wird seine Tochter geboren. Das Wandern zwischen den Welten weckt Neugierde. Er nimmt teil an den „Goldenen Fünfzigern“, genießt den Vorteil des Westgeldes auf seine Weise. Manchmal muß ihn seine junge Frau aus der nächsten Eckkneipe nach Hause abschleppen, weil der Rausch ihn niedergestreckt hat.
    1958 schließt der Meister die kleine Schneiderei. Teichmann muß gehen, ohne die versprochene Werkstatt zu erhalten. Enttäuscht sucht er eine neue Beschäftigung. Aber er kann nirgends Fuß fassen, weder im Westen, noch im Osten. Zwar werden jede Menge Industrieschneider gesucht, doch für derart stupide Tätigkeit ist er sich zu schade. So wird er kurzerhand Verkäufer für Herrenoberbekleidung im HO-Warenhaus am Alexanderplatz, das einige Jahre später als CENTRUM-Warenhaus ein neues Gebäude in der Nähe erhielt. Der Umgang mit den Kunden liegt ihm. Freundlichkeit und Überzeugung sichern ihm bald die höchsten Umsätze in seinem Verkaufsbereich. Die Umsatzprämien allerdings setzt er mit Kollegen in Alkohol um. Überhaupt nimmt er jede Gelegenheit zum Trinken wahr. Und im Warenhaus gibt es viele Anlässe für feucht-fröhliche Brigadezusammenkünfte. Schließlich kann man derlei im sozialistischen Wettbewerb als „kollektivbildende Kulturmaßnahmen“ abrechnen. Im Verlaufe der Jahre wird Werner Teichmann mehrfach zum „Aktivist der sozialistischen Arbeit“ gekürt. Der Mauerbau schockiert ihn sehr. Doch es geht ihm wie den meisten: Man richtet sich ein. Das den Sozialismus vom Kapitalismus trennende Bollwerk verkörpert bald das scheinbar Endgültige.
    Werner Teichmann wird Mitglied der SED und kurz darauf Erster Verkäufer und dann Stellvertreter des Verkaufsbereichsleiters. Irgendwie fühlt er sich wohl inmitten des turbulenten Warenhausalltags. Er macht lieber Überstunden, als sich Zuhause den ständigen Nörgeleien seiner Gattin auszusetzen. Es ärgert ihn, wie sie hinter ihm

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