Ekel / Leichensache Kollbeck
fest. In dieser Maßnahme sieht er eine vage Möglichkeit, seine innere Überzeugung vom Tatverdacht Treeses zu festigen, falls eine Individualdifferenzierung gelingen sollte. Anderenfalls muß er, wenn auch widerwillig, Treese vorerst entlassen.
Um 19 Uhr wird der Zeuge in einen hell erleuchteten, länglichen Kellerraum geführt. Ein für seine Uniform viel zu dicker Wachtmeister mit feistem, pickeligen Gesicht, stellt eine gerade Reihe offener Konservengläser auf den Betonfußboden, in dem sich gelbe Staubtücher befinden. Auf jedem Glas ein Aufkleber mit fortlaufender Numerierung von 1 bis 20. Zwei einzelne, tuchgefüllte Gläser stehen auf dem kleinen Tischchen in einer Ecke des Kellers. Der Dicke hebt eines an und sächselt Petershagen und Treese zu: „Das hier is die vom Bäha der Jeschädichten jesicherde Jeruchsschbur!“
Auf dem Etikett steht: Tatspur. Dann weist er auf das andere Glas: „Die Verjleichsschbur des Bürjers Dräse!“
Er reiht es irgendwo zwischen die anderen Gläser. Treese kann den Aufkleber deutlich lesen: Vergleichsspur. Die Anspannung wächst. Sein Mund ist trocken.
Jetzt erst bemerkt er, daß unter dem Tischchen fast regungslos ein schwarzer Schäferhund hervorblinzelt. Der Uniformierte kommandiert ihn zu sich. Gehorsam baut sich der Hund vor seinem Herrn auf, der mit einer Klemmzange aus dem Glas „Tatspur“ ein gelbes Tuch entnimmt. Er schiebt es in eine Plastiktüte und stülpt diese wie einen Maulkorb über die Schnauze des Hundes. Durch tiefes Einatmen verschwindet die Luft aus der Tüte in dessen sensible Nase. Dann läßt ihn der Dicke frei: „Such!“
Scheinbar unbekümmert trabt der Hund an den Gläsern vorbei, die Nasenspitze dicht über deren Öffnungen. Am Glas mit der Aufschrift „Vergleichsspur“ hält er für eine Sekunde inne, bellt kurz auf und legt sich diszipliniert davor. Bernd Treese starrt in die Szene. Das kann doch nicht wahr sein, der Hund weiß es! Er hatte dem Mädchen den Büstenhalter vom Leib gerissen. Jetzt fühlt er sich durch dieses blöde Vieh verraten. Es bricht über ihn herein, er kann die Tränen kaum halten. Petershagen erkennt seine Zermürbung und faßt gleich zu: „Überzeugt Sie das? Sie haben den Büstenhalter zerrissen!“
„Ich …, ich wollte sie nicht töten“, schluchzt Treese kläglich. Zusehends schwindet sein innerer Widerstand. Ein unerklärlicher Druck zwingt ihn, darüber zu sprechen, der Rest seines Verstandes wehrt sich verzweifelt dagegen. Sein angstvoller Blick streift Petershagen in der diffusen Erwartung, daß dieser seine bisherige Freundlichkeit aufgeben wird. Doch zu seiner Verwunderung bleibt Petershagen kühl und gelassen.
Als sie den Keller verlassen, legt er sogar einen Augenblick lang seinen Arm um Bernd Treese: „Ich besorge uns eine Bockwurst. Es wird eine lange Nacht!“
Noch auf dem Weg zum Vernehmungszimmer erklärt Treese: „Vielleicht hat mich jemand mit dem Mädchen gesehen. Von mir sind doch Spuren am Tatort. Ich dachte, wenn ich selbst bei der VP Anzeige erstatte, gerate ich nicht in Verdacht, Täter zu sein!“
Die weiteren Ermittlungen verliefen zügig und ohne Hindernisse. Die Mutter der Getöteten hatte bereits am Sonntagmorgen beim VP-Gruppenposten eine Vermißtenanzeige aufgegeben. Ihre 16jährige Tochter Sigrun Arends war im Rahmen ihrer Ferienarbeit in der Gummifabrik nicht zur gestrigen Nachtschicht erschienen.
In den Abendstunden des 11. August 1972 wird gemäß § 98 Strafprozeßordnung gegen Bernd Treese ein Ermittlungsverfahren wegen dringenden Mordverdachts eingeleitet. Er wird dem Haftrichter vorgeführt. Ohne seine väterliche Gelassenheit zu verlieren, macht ihm Petershagen klar, daß es von nun an um Kopf und Kragen gehe und es besser sei, durch wahrheitsgemäße Aussagen den Ermittlungsprozeß zu erleichtern. Treese weiß, auf Mord kann die Todesstrafe stehen. Und eine neue Angst überfällt ihn. Aber sie begünstigt sein Aussageverhalten. Bereitwillig legt er in der ersten Beschuldigtenvernehmung ein umfassendes Geständnis ab.
Schon am Vormittag des 10. August hatte er seinen Frust über den lädierten Finger in verschiedenen Kneipen mit Bier zu ertränken versucht. Als er gegen Abend nach Hause kam, hatte seine Leber mehr als 15 Glas Bier zu verbrennen. Um 19 Uhr war Klubratssitzung, so daß er sich nicht eine Minute von den Strapazen des Tages erholen konnte. Die anderen Mitglieder des Klubrates hatten offenbar Besseres zu tun, als sich über die nächsten
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