Ekel / Leichensache Kollbeck
reagiert schnell. Ein herbeigerufener Arzt weist Ulla ohne Zögern ins Krankenhaus nach Hohenstein-Ernstthal ein, nachdem sie ihm zu erklären versuchte, auf der Toilette von einer plötzlichen Fehlgeburt überrascht worden zu sein.
Sie muß die Prozedur einer Ausschabung erdulden. Die Reste der Plazenta können nur auf diese Weise entfernt und die Blutung muß gestillt werden. Eine halbe Stunde später findet sie in einem frisch hergerichteten Krankenhausbett auf der gynäkologischen Station Ruhe, wenn auch nur kurz.
Dann setzt sich ein älterer, väterlich wirkender, freundlicher Arzt zu ihr ans Bett und spricht ruhig auf sie ein: „Soweit ist jetzt alles wieder in Ordnung. Sie müssen noch unter ärztlicher Betreuung bleiben, aber morgen können Sie hier raus. Da gibt es aber ein anderes Problem. Seien Sie mal ganz ehrlich, mein Kind. Das war niemals ein Abort, ich meine, eine Fehlgeburt!“ „Wie wollen Sie das wissen?“ fragt Ulla zaghaft.
„Es gibt ausreichende medizinische Beweise dafür, daß Sie das Kind regulär ausgetragen haben. Also, machen Sie’s nicht noch schlimmer, als es ohnehin schon ist.“
Ulla besitzt keine Widerstandsenergie mehr, ihre Kräfte sind restlos aufgezehrt. Jetzt hat sie sich in ihr Schicksal gefügt. Sie weint leise in die Kissen, doch sie erzählt nach kurzem Zögern dem Arzt die ganze, wahre Geschichte.
Geduldig hört der Doktor zu, ohne sie zu unterbrechen. Als sie ihre Schilderung beendet hat, streichelt er väterlich ihre Hand, spricht aber mit sehr ernster Stimme: „Ein großes Problem haben Sie sich da aufgehalst. Und das Schlimme ist, es wird noch größer. Aber bleiben Sie tapfer wie eben bei der Wahrheit. Die Grenzen meiner Schweigepflicht sind jetzt überschritten. So leid mir es tut, ich muß den Vorfall der VP melden.“
Diese Mitteilung ist ihm so peinlich, daß er Ulla kurz darauf verläßt.
Nach § 225 StGB und einer Anordnung des Ministers für Gesundheitswesen der DDR (Gesetzblatt Teil 2, Nr. 54, Seite 54, vom 30.05.1957) obliegt dem Arzt die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige, weil der Verdacht eines Verbrechens gegen das Leben besteht. Unterließe er sie, würde er sich selbst strafbar machen. Mit einem zwiespältigen Gefühl von Pflichtbewußtsein und Bedauern führt er ein längeres Telefonat mit einem Kriminalisten des VP-Kreisamtes. Und am gleichen Tage erfolgt die erste polizeiliche Befragung Ullas. Sie ist gefaßt und bemüht, sich nicht in weiteren Lügen zu verstricken.
Am Morgen des 8. April rücken Polizisten aus Hohenstein-Ernstthal und ein Fahrzeug der kommunalen Fäkalienabfuhr bei Söllners an. Ein langer, dicker Schlauch wird vom Abwasserfahrzeug abgerollt. Sein Anfang taucht in die Jauchegrube hinter dem Abort. Dann wird die Pumpe in Betrieb genommen. Während sie langsam, aber unaufhaltsam den stinkenden Brei aus der Grube schlürft, um die Leiche des Säuglings freizulegen, werden aus dem Zimmer Ullas Blutspuren gesichert.
Die Befunde der nachfolgenden Autopsie beweisen, daß der Tod nicht, wie zunächst angenommen, durch Ersticken an den Fäkalien, sondern durch Unterkühlung verursacht wurde.
Wenige Wochen später sind die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen, und der Staatsanwalt erhebt Anklage. In der Hauptverhandlung sieht das Gericht es als hinreichend erwiesen an, daß Ulla Söllner ihr Kind unmittelbar nach der Geburt vorsätzlich getötet hat, indem sie es nach dem beabsichtigten Fallenlassen in die Jauchegrube kaltblütig seinem Schicksal überließ.
Sie wurde wegen Totschlags nach § 113 Abs. 1 Ziffer 2 StGB mit einem dreijährigen Freiheitsentzug bestraft.
Unmittelbar nachdem der Vorfall bekannt wurde, wandte sich Ullas Verlobter brüskiert von ihr ab. Nur die Eltern hielten zu ihr, obwohl sie das Geschehene zutiefst verurteilten und niemals begriffen, wieso ihre Tochter das eigene Kind umbringen konnte.
(Aktenzeichen 2 BS 28/71 Bezirksstaatsanwalt Erfurt)
Am Mittwoch, dem 14. Juli 1971, finden Deponiearbeiter auf einer Müllkippe unweit von Arnstadt, der verträumten kleinen Kreistadt zwischen den Vorbergen des Thüringer Waldes, einen toten Säugling, zusammengeschnürt in einem bunten Badelaken. Sie schlußfolgern, daß dieses schreckliche Päckchen mit dem Müll eines der letzten Fahrzeuge der Arnstädter Müllabfuhr auf die Deponie gelangt war. Die Verschnürung hatte sich soweit gelöst, daß der tote Körper teilweise aus der Verpackung herausragt. Es sind bereits erste Anzeichen von Verwesung zu
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