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Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
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Steinitz grübelt aber auch darüber nach, wie es zu dieser Meldung gekommen ist. Erst hält er sie für einen journalistischen Irrtum, dann für einen plumpen psychologischen Trick der Polizei, um die aufgebrachte Bevölkerung zu beruhigen. Dennoch fühlt er sich wie ein von unsichtbaren Jägern in die Enge getriebenes Wild und findet sich irgendwie damit ab, bald verhaftet zu werden. Er bemerkt das emsige Treiben der Polizei, die Hunderte von Leuten vernimmt, auch in seiner Kaserne. Doch niemand interessiert sich für ihn, den Feldwebel Mirko Steinitz.
    So verliert seine Angst von Tag zu Tag wieder mehr an Intensität, und in gleichem Maße wächst jenes entsetzliche Verlangen, das nur durch einen erneuten Mord befriedigt werden kann.
    Tatsächlich hatte die Kriminalpolizei den mehrfach vorbestraften, 23jährigen Arbeiter Karl-Heinz Dürrenberg aus Neubrandenburg verhaftet und ihn der Morde an dem 22jährigen Jörg Dehmel und dem Schüler Dirk Lühmann beschuldigt.
    Dürrenberg entstammte schwierigen Familienverhältnissen, wies ein beachtliches intellektuelles Defizit auf, besuchte die Hilfsschule nur bis zur 5. Klasse und beging bereits in frühen Jugendjahren Diebstähle, die ihm Haftstrafen einbrachten. Den Lebensunterhalt verdiente er sich mit Gelegenheitsarbeiten. Fast täglich lümmelte er in billigen Kneipen herum und gab sich seiner Trinkerkarriere hin. Im Rausch wurde er aggressiv und schlug sich regelmäßig mit seinen Kumpanen.
    Obwohl Dürrenberg wahrlich kein leuchtendes Beispiel für einen biederen Untertan abgab, drängt sich die Frage auf, auf welche Weise nun ein solch schwerwiegender Vorwurf zustande kam, der ihn später sogar vor Gericht brachte. Doch man muß weiter fragen: Welche Qualität besitzt die Beweisführung gegen Dürrenberg, der am 7. März 1984 durch das Bezirksgericht Neubrandenburg und im Berufungsverfahren vor dem 5. Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR wegen zweier Morde zu lebenslänglichem Freiheitsentzug verurteilt wurde, die in Wahrheit der Feldwebel Mirko Steinitz begangen hatte?
    Ist die Verstrickung einer Vielzahl von unglücklichen Zufällen Dürrenberg zum Verhängnis geworden oder hat kriminalpolizeilicher Erfolgszwang zu einer rücksichtslosen Manipulation von Beweisen verleitet?
    Es stellte sich in diesem Falle erst spät heraus, daß sich auch ein vermeintlich objektiv ablaufender kriminalistischer Erkenntnisprozeß sehr schnell im Netz folgenschwerer Irrtümer verfangen und zu Konsequenzen führen kann, die man gewöhnlich Justizirrtümer nennt, von denen sich die DDR-Rechtsprechung aber frei wähnte.
    Das ganze Dilemma beginnt am 27. Juli 1983. Eben zu der Zeit lag die versteckte Leiche des Jörg Dehmel, der ein chronischer Trunkenbold war und sich wiederholt tagelang herumtrieb und von niemandem vermißt wurde, noch unentdeckt irgendwo im Strauchwerk zwischen Stadthalle und der Gaststätte „Werderbruch“. Doch aufwendige polizeiliche Suchmaßnahmen nach dem schon am Vortage vermißten Schüler Dirk Lühman waren in vollem Gange. Unweit des Tollensesees wurde die Leiche des Jungen bald aufgefunden.
    Bei der Tatortuntersuchung wurden unter anderem einige blaue Textilfasern gesichert, die den vorsichtigen Schluß zuließen, vom Täter auf das Opfer gelangt zu sein. Die Stichverletzung im Körper des toten Schülers wies auf ein einschneidiges Messer mit einer Klingenlänge von 12 cm hin. Die gerichtsmedizinischen Befunde und die Aussagen anderer Kinder, die mit Dirk Lühmann beim Baden zusammen waren, bestätigten die bisherigen Erkenntnisse über die mögliche Tatzeit.
    Die Folgetage waren ausgefüllt mit unzähligen Überprüfungen zur tatzeitbezogenen Personenbewegung an der Badestelle. Dabei interessierte sich die MUK auch für die in Neubrandenburg und Umgebung stationierten Einheiten der NVA. Allerdings endete die Kompetenz der Kriminalpolizei vor den Kasernentoren. Der zuständige Militärstaatsanwalt, der über eigene Ermittler verfügte, sicherte Unterstützung zu. Doch es wurden nur Urlauber und Ausgänger aus dem Kreis der Wehrpflichtigen und der Zeitsoldaten erfaßt. Eine Alibiüberprüfung der Berufssoldaten wurde nicht erwogen. Daher blieb der Feldwebel Steinitz außerhalb jedes kriminalistischen Interesses.
    Ermittlungen zur Personenbewegung am Tollensesee führten zu wichtigen Zeugen. Sie bestätigten, zur fraglichen Zeit einen jungen, offenbar alkoholisierten Mann in blauer Arbeitskleidung beim Baden in der Nähe von Dirk Lühmann gesehen zu

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