El Chapo - Beith, M: Chapo - The Last Narco
ihren Stirnen bilden sich Schweißperlen, fieberhaft grübeln sie, was sie sagen könnten. Zögernd fragt ein Mädchen: »Werden die mich umbringen, wenn ich rede?«
Ihr Freund, José de Jesús Landell García, ist bereit, das Risiko auf sich zu nehmen. »Die Drogenhändler tun Gutes. Sie geben den Menschen Arbeit. Hier gibt es kein Getreide, keine Bohnen, die Leute hier leben nur von den Drogen«, erklärt der Zweiundzwanzigjährige, der zusammen mit seinem Vater den Schuhladen betreibt. Und fügt hinzu, dass er der Narco-Kultur gegenüber durchaus gemischte Gefühle hegt. Während er das Glück hatte, im Geschäft seines Vaters Arbeit zu finden, hätten die meisten seiner Freunde sich den Kartellen angeschlossen, weil »es die einzige Möglichkeit ist, Geld zu verdienen«.
»Einerseits bin ich nicht gegen die Narcos. Aber sie tragen auch die Verantwortung für die ganze Gewalt. Ich wünschte mir, es gäbe hier andere Beschäftigungsmöglichkeiten … Die Drogenhändler haben Geld, sie schaffen Jobs und helfen den Leuten.«
Seine Freundin Gladys Elizabeth López Villarreal tritt sogar noch vehementer für die Narcos ein. »Leute wie Chapo sind gute Menschen. Wir bewundern sie. Sie helfen uns, und ansonsten tun sie, was sie tun müssen«, meint sie und bezieht sich dabei auf die Art und Weise der Drogendealer, mit der Konkurrenz und den Vertretern des Gesetzes umzuspringen. 180
Die Kultur des Verbrechens ist nicht nur tief in der sinaloensischen Gesellschaft verwurzelt, sie scheint auch allen anderen Optionen überlegen zu sein.
»Was kann ein Jugendlicher in Culiacán schon machen?«, fragt der Historiker Martín Amaral und hebt verzweifelt die Arme. »Im Wal-Mart arbeiten? Studieren? Oder sich den Narcos anschließen? Er hat hier keinerlei Aufstiegschancen. Deshalb ist es offensichtlich für einen Jungen die bessere Wahl, das Schicksal, das ihn zu Armut verdammt, herauszufordern und ein Narco zu werden. Ich verurteile das nicht. Ich kann es verstehen.« 181
Der durchschnittliche junge sinaloensische Narco überlebt heute im Durchschnitt dreieinhalb Jahre im Geschäft. Dann landet er im Gefängnis oder wird ermordet. 182
Unter den Toten
Am Rande von Culiacán kann man inmitten eines Hains die Mausoleen der Jardines del Humaya erkennen, den berühmtesten Narco-Friedhof der Region. Die Mausoleen sind prachtvoll, manche haben farbenfrohe Kuppeln, Buntglasfenster oder Glastüren, die ungebetene Besucher fernhalten sollen. Im Innern finden sich oft Ballons, Kerzen und Grabgaben, die von den Hinterbliebenen dargebracht wurden. Andere Gräber sind mit einer Fülle von Blumen geschmückt.
In einiger Entfernung bereiten die Totengräber die nächste Ruhestätte vor.
Einige, die hier beerdigt wurden, sind über die Region hinaus bekannt. 183 Vor einigen Jahren machte sich El Güeros Frau, Guadalupe Laija, mit einem Konkurrenten aus Venezuela davon, der gerüchteweise für den Arellano-Félix-Klan arbeitete. Dieser verlangte dann von Laija, sie solle sieben Millionen Dollar von El Güeros Konten abheben. Nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatte, wurde sie ermordet und enthauptet. Der Venezolaner schickte El Güero ihren Kopf in einer Kühlbox
nach Culiacán. Dann entführte er ihre beiden Söhne nach Venezuela, wo er sie von einer Brücke warf. 184
Eine Freske von Laija und den beiden Jungen ziert die Decke ihres Mausoleums. Ihre ruhig-heiteren Gesichter schauen auf die Stelle herab, wo El Güero einst seine letzte Ruhestätte finden wird.
Die Enthauptung Laijas war die erste, die im Umfeld des mexikanischen Drogengeschäfts offenkundig wurde. Inzwischen liegen Dutzende enthaupteter Opfer in den Jardines del Humaya.
Die Familie Velazquez Uriarte war nicht so bekannt wie El Güero. Velazquez Uriarte und sein junger Sohn starben bei einer Schießerei. Im Innern des Mausoleums finden sich Spielsachen und Ballons, die Gratulanten am Geburtstag des Kindes gebracht haben. Für die Architektur des Mausoleums hat offenbar Batman Pate gestanden, die Außenwände sind schwarzgrau gestrichen, das Emblem des »Dunklen Ritters« ziert das Dach. 185
Auf einem anderen Grab hat ein unbekannter Narco eine Inschrift für seine Freundin hinterlassen: »Wie schwer es fällt zu akzeptieren, dass du nicht mehr unter uns weilst, wie schwer es fällt, ohne deine Stimme, dein Lachen zu leben, wie schwer es fällt, dich nicht berühren zu können, dich nicht umarmen zu können, wie schwer es fällt, ohne dich zu leben.«
In den Jardines
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