El Chapo - Beith, M: Chapo - The Last Narco
Culiacán für Jesús Malverde errichtet wurde, einen sagenumwobenen Banditen aus dem 19. Jahrhundert, der angeblich die Reichen bestahl, um den Armen zu geben. Durch ähnliche Heldentaten haben die Narcos der Region es ebenfalls geschafft, sich mit der Aura moderner Robin Hoods zu umgeben. 21
Doch nun, da die Gewalt des Drogenkrieges eskaliert, hat sich die Wahrnehmung vieler Menschen geändert. Sie verklären nostalgisch die Zeit, in der lediglich Chapo das Sagen hatte und nicht die immer zahlreicher werdenden Aufsteiger, die vor keiner Gewalttat zurückschrecken und offenbar auch keine Loyalitäten kennen. Allein das Wort Chapo lässt viele an eine Vergangenheit zurückdenken, in der der Drogenhandel noch eine kontrollierte Angelegenheit war. Natürlich gab es auch damals Gewalt, aber sie wurde kontrolliert – und zwar von ihm.
Eine Minderheit allerdings sieht es mit Genugtuung, wenn es einen Narco erwischt, sei es nun Chapo oder einen der jungen
Brutalos. Während eines früheren Besuchs in Badiraguato hatte ich mich auf eine Bank am Zócalo gesetzt und mich mit einem älteren Herrn unterhalten. Er weigerte sich, über Chapo zu reden, nahm nicht einmal dessen Namen in den Mund. Dagegen tat er, wenn auch flüsternd, seine Meinung über die örtliche Mafia kund.
»Wenn es einen dieser üblen Burschen erwischt, dann heulen sie.« Er grinste verstohlen und schwieg.
Plötzlich tauchten vier SUVs mit getönten Scheiben auf und drehten langsam eine Runde. Und noch eine. Und noch eine.
»Sie gehen jetzt besser«, sagte der Alte. 22
1
Hinausspaziert!
Um 21:15 Uhr machte Gefängniswärter Jaime Sánchez Flores wie gewohnt seine Runde durch Puente Grande. Er konnte nichts Ungewöhnliches feststellen, alles schien wie immer.
Es gab also keinen Grund, besonders wachsam zu sein. Es war Freitag, der 19. Januar 2001. Am Nachmittag dieses Tages hatte eine Gruppe hochrangiger Beamter dem Hochsicherheitsgefängnis im mexikanischen Bundesstaat Jalisco einen Besuch abgestattet. Angeführt wurde die Delegation von Jorge Tello Peón, Mexikos stellvertretendem Polizeichef, und sein Augenmerk galt insbesondere einem Insassen: Joaquín Archivaldo El Chapo Guzmán Loera.
Chapo saß seit 1995 in Puente Grande ein, wohin er zwei Jahre nach seiner Festnahme in Guatemala überführt worden war. Obwohl er bereits seit fast acht Jahren hinter Gittern saß und in dieser Zeit nie einen Ausbruchsversuch unternommen hatte, hatte Tello Peón allen Grund, besorgt zu sein. Kurz vor seinem Besuch an jenem 19. Januar hatte der Oberste Gerichtshof Mexikos die Hürden für eine Auslieferung an die USA erheblich gesenkt.
Chapo, den nördlich der Grenze diverse Anklagen wegen Drogendelikten erwarteten, hätte sich also bald in einem amerikanischen Hochsicherheitstrakt wiederfinden können.
Und Tello Peón wusste nur zu gut, dass kein Drogenschmuggler einem solchen Schicksal ins Auge blicken will. Auch Chapo nicht. Innerhalb der hohen weiß getünchten Mauern von Puente Grande hatte Chapo ohne größere Schwierigkeiten seine Geschäfte
weiterbetreiben können. Die Korruption des Gefängnispersonals war notorisch und Chapos Status als einer der bedeutendsten Narcos unbestritten – auch wenn er derzeit in einem mexikanischen Gefängnis einsaß.
In den Vereinigten Staaten hingegen würde Chapo die volle Härte der Justiz zu spüren bekommen. Alle Narcos fürchteten, aus ihrem Netzwerk herausgerissen und von ihren engsten Komplizen abgeschnitten zu werden, wenn man sie aus dem bis ins Mark korrupten mexikanischen Justizwesen in die USA transferierte.
In den Achtzigern hatten die kolumbianischen Drogenbarone einen Terrorfeldzug gestartet, um die Verabschiedung der Auslieferungsgesetze zu verhindern, und ihre mexikanischen Gegenspieler standen ihnen in nichts nach. Chapo würde sich nicht an die USA ausliefern lassen. 23
Kurz nachdem Sánchez Flores seine letzte Runde absolviert hatte, gingen in den Zellentrakten, die 508 Insassen beherbergten, die Lichter aus. Damals war Puente Grande eines von drei Hochsicherheitsgefängnissen in Mexiko und mit dem besten und teuersten Alarmsystem sowie 128 modernsten Überwachungskameras ausgestattet, die jeden Winkel des Komplexes erfassten. Die Kameras wurden von außerhalb des Gefängnisses kontrolliert, im Innern hatte niemand Zugriff auf das System. In den Korridoren konnte nie mehr als eines der ebenfalls elektronisch kontrollierten Tore gleichzeitig geöffnet werden.
Etwa fünfundvierzig bis sechzig
Weitere Kostenlose Bücher