El Chapo - Beith, M: Chapo - The Last Narco
Minuten nachdem Sánchez Flores zum letzten Mal an diesem Tag Chapos Zelle kontrolliert hatte, öffnete ein Wärter namens Francisco Javier Camberos Rivera, alias »El Chito«, deren elektronisch gesicherte Tür.
Der sorgsam gehütete Gefangene spazierte über den Flur und sprang in einen Wäschewagen, der von El Chito zügig aus Zellenblock C3 geschoben wurde. Das Gespann bog nach
rechts ab und bewegte sich auf den Ausgang des Komplexes zu. Da die Stromkreisläufe offenbar unterbrochen waren, öffneten sich die meisten elektronischen Tore problemlos. Andere waren kaputt und brauchten nur aufgestoßen zu werden. Ein Tor hatte man mit Hilfe eines alten Schuhs blockiert – nicht unbedingt ein Gütesiegel für die von den mexikanischen Behörden behauptete Sicherheit ihrer Einrichtungen.
El Chito und Chapo, der sich immer noch in dem Wagen versteckte, bewegten sich nun zum Zellenblock B3, doch der Wärter bemerkte schnell, dass dies keine gute Idee war. Im Speisesaal befanden sich noch Menschen, wahrscheinlich Kollegen, die ein spätes Essen zu sich nahmen. Deshalb wählte El Chito eine scheinbar riskantere Route und ging durch den Korridor an den normalerweise mit Beamten besetzten Beobachtungsräumen vorbei Richtung Hauptausgang.
Sie kamen durch den Bereich, in dem tagsüber alle, die das Gefängnis betreten, von Kopf bis Fuß durchsucht werden. Der Wachhabende fragte El Chito, wo er hinwolle.
»Ich bringe die Wäsche raus, wie immer«, erwiderte der.
Der Wachhabende steckte seine Hände in den Wagen, allerdings nicht tief genug. So fühlte er nur Kleider und Bettzeug und winkte sie durch. Und so wurde Chapo nach draußen geschoben.
Nur ein Wärter beobachtete den Parkplatz, und dieser befand sich im Innern hinter einer Glasscheibe und hatte seine Nase in seinen Formularen und Akten vergraben. Chapo entledigte sich seines beigefarbenen Häftlingsoveralls und sprang aus dem Wagen in den Kofferraum eines bereitstehenden Chevrolet Monte Carlo.
El Chito brachte den Wäschewagen zurück und stellte ihn wie gewöhnlich direkt hinter dem Haupteingang ab. Dann setzte er sich ans Steuer des Fluchtfahrzeugs und schickte sich an, Puente Grande hinter sich zu lassen. An der Ausfahrt des Parkplatzes wurde er von einem Wärter angehalten, dessen
Schicht bald zu Ende war und der deshalb keine Lust mehr hatte, seinen Job mit der gebotenen Gründlichkeit zu erledigen. Er warf einen kurzen Blick ins Wageninnere, ignorierte den Kofferraum und ließ den Chevy passieren. El Chito und Chapo bogen auf die Avenida Zapotlanejo ein und fuhren davon.
Chapo war frei.
Doch El Chitos Job war noch nicht beendet. Chapo setzte sich nach vorne auf den Beifahrersitz und erklärte seinem jungen Komplizen, dass es besser für ihn sei, ebenfalls zu fliehen, da die zweifellos einsetzende Medienkampagne – von der Großfahndung ganz zu schweigen – sich auf ihn fokussieren würde.
Beunruhigt grübelte El Chito über sein weiteres Schicksal nach. Als sie die Außenbezirke von Guadalajara erreichten, bedeutete Chapo dem Wärter, er habe Durst. El Chito ging in einen Laden und besorgte ihm eine Flasche Wasser.
Als er wieder zum Wagen kam, war Chapo verschwunden.
Während der gesamten Flucht hatte nicht eine einzige Sirene im Gefängnis Alarm geschlagen. Die Wärter, die auf den Türmen des Komplexes einen 360-Grad-Rundumblick genossen, hatten nichts bemerkt. Ihre Kollegen im Innern gingen ihrem Nachtdienst nach, als wäre nichts geschehen.
Um 23:35 Uhr erhielt der Wärter Leonardo Beltrán Santana einen Anruf. Ein Kollege teilte ihm mit, Chapo befinde sich nicht in seiner Zelle. Unter dem Wachpersonal brach Panik aus. Sie begannen, das gesamte Gefängnis zu durchsuchen. Sie durchkämmten Zelle für Zelle, Raum für Raum, Kammer für Kammer, Schrank für Schrank. So dauerte es weitere fünf Stunden, bis Tello Peón von dem Ausbruch erfuhr.
Tello Peóns erster Gedanke war – korrekterweise –, dass das Sicherheitssystem versagt hatte. Jedermann wusste, dass in Mexikos Gefängnissen die Korruption regierte, und nur ein korruptes System konnte es Chapo ermöglicht haben, so einfach
zu entkommen. Genau deshalb wollte er das Personal von Puente Grande auf Anzeichen von Kollaboration mit Chapo und dessen Kartellgenossen überprüfen. Immerhin hatte es vor dem 19. Januar Gerüchte gegeben, Chapo könnte einen Ausbruchsversuch unternehmen, allerdings hatte man keine konkreten Hinweise auf einen ausgearbeiteten Plan entdecken können. Nichtsdestotrotz
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