El Chapo - Beith, M: Chapo - The Last Narco
erklärte er und bestätigte, dass die Zetas nun auch jenseits der Grenze operierten. »Da drüben regiert das Chaos.«
Dann holte er einige Fotos hervor, die er zwei Tage zuvor von seinem Posten aus geschossen hatte. Auf einem sah man einen Mann, der über dem Lenkrad seines von Kugeln durchsiebten Wagens zusammengesunken war. Seine Frau hatte seinen Arm umklammert, ihr Gesicht war verängstigt und blutverschmiert. Auch ihre Bluse hatte ein paar Blutstropfen abbekommen, sie schien jedoch unverletzt. Das nächste Foto zeigte die Windschutzscheibe, die im Kugelhagel geborsten war. Auf einem dritten konnte man darüber hinaus gut die mexikanische Seite der Grenze erkennen.
Guatemala machte in der Tat schwere Zeiten durch. Mit seiner schwachen Zentralregierung und einer landesweiten Korruption, die schlimmer grassierte als in Mexiko, war die kleine zentralamerikanische Nation zum Tummelplatz für Narcos geworden, die sich vor dem mexikanischen Militär in Sicherheit bringen wollten.
Am 25. März 2008 machte eine Schießerei in der Nähe der Grenze zwischen Guatemala und El Salvador Schlagzeilen.
Zum einen wegen des Blutvergießens, elf Menschen waren ums Leben gekommen, zum anderen aber auch aufgrund der Gerüchte, die in der Folge kursierten.
Die örtlichen Medien berichteten, dass Chapo unter den Opfern sei. Zwei der Leichen waren in einem nach der Schießerei ausgebrochenen Feuer bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, und die Ermittler hatten Blutproben genommen. Zumindest war sicher, dass sich ein Mexikaner unter den Opfern befand.
Handelte es sich um Chapo? Ganz Mexiko war nervös.
Doch dann kam die Nachricht: »Nach den Informationen, die wir haben, befindet er sich nicht unter den Toten«, erklärte ein Sprecher des guatemaltekischen Präsidenten Álvaro Colom Caballeros.
Der Präsident war sich seiner Sache noch sicherer: »Ich habe mich heute morgen mit den Ermittlern getroffen, und wir nehmen an, dass sich Guzmán in Honduras aufhält.« 301
Die Mordmethoden der neuen Banden dürften wahrscheinlich sogar die alteingesessenen Narcos das Fürchten gelehrt haben. Chapo, so räumten nun etliche Sicherheitsexperten fast wehmütig ein, sei ein »Gentleman-Killer« gewesen, oder zumindest ein Geschäftsmann. Im Gegensatz zu den Zetas, die einen Mann enthaupteten und mit nacktem Unterkörper liegen ließen, habe Chapo Anstand und Respekt gezeigt. Wenn er jemanden zu töten beabsichtigte, sprach er mit der betreffenden Person, dann ging er mit ihr nach draußen und schoss ihr in den Kopf. Seine Männer mordeten auf dieselbe Weise. 302
Doch die Spielregeln hatten sich geändert. Und Chapo würde sich ebenfalls ändern müssen.
»El Avionazo«
Das Flugzeug stürzte am 4. November 2008 kurz nach 19 Uhr mitten über dem Stadtzentrum von Mexiko-Stadt ab. Das Wrack landete auf dem Paseo de la Reforma, der Hauptverkehrsader der Stadt. Innerhalb weniger Minuten wusste die gesamte Nation, dass sich der mexikanische Innenminister, der erst siebenunddreißigjährige Juan Camilo Mouriño, an Bord des Learjets befunden hatte. Die öffentliche Meinung in den Straßen des Landes war einhellig: Da musste Chapo dahinterstecken.
Nur er hatte die Macht, jemanden vom Himmel zu holen.
Es wurde gemutmaßt, Chapo habe Mouriño umgebracht, weil der Innenminister ihm zu sehr auf die Pelle gerückt sei. »Erinnerst du dich an Escobar?«, fragte am selben Abend ein Hauptstadt-Journalist und zog misstrauisch die Augenbrauen hoch. 303
Am 27. November 1989 hatte der kolumbianische Drogenbaron Pablo Escobar eine Linienmaschine der Avianca abschießen lassen, um den Parlamentsabgeordneten César Gaviria zu ermorden, einen mutigen jungen Politiker, der es gewagt hatte, dem Medellín-Kartell den Kampf anzusagen. 304 Und die meisten Mexikaner vermuteten nun hinter »El Avionazo«, wie der Absturz von Mouriños Flugzeug schnell getauft wurde, dasselbe Prinzip.
Nach seinem Amtsantritt Anfang 2008 hatte Mouriño sich zumindest symbolisch an die Spitze des Anti-Drogen-Krieges gesetzt und war von seinem Präsidenten als einer der Mexikaner gelobt worden, »die sich um ihr Land kümmern«. Als Innenminister war er de facto die Nummer zwei in der mexikanischen Staatshierarchie, im Grunde eine Art Vizepräsident. Wiederholt hatte er geschworen, die Kartelle mit der geballten Macht des Staates zu verfolgen. Er hatte leidenschaftliche Erklärungen abgegeben und dabei mehr Emotionen gezeigt, als
es für ein so hochrangiges Kabinettsmitglied bis dahin
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