El Chapo - Beith, M: Chapo - The Last Narco
modernsten Militärapparat der Welt und können trotzdem bin Laden nicht festnehmen. Haben die USA also einen Pakt mit bin Laden?«
Es bedurfte eines religiösen Würdenträgers, der schließlich öffentlich seinen Unmut darüber äußerte, dass Chapo noch frei herumlief. »Er lebt in den Bergen von Durango«, schäumte Erzbischof Héctor Martínez González im April 2009 und wies darauf hin, dass Chapo nun offenbar das Bergdorf Guanacevi als Wohnsitz auserkoren hatte. »Jedermann weiß das, mit Ausnahme der Behörden.«
Tatsächlich war dies auch den Behörden bekannt, und einige versuchten sogar immer noch, ihn zur Strecke zu bringen. Mitglieder des mexikanischen Nationalen Sicherheitsrates trafen sich mehrmals die Woche, um eine Strategie zu entwickeln, mit der man Chapo endlich festsetzen konnte. Unter strengster Geheimhaltung diskutierten sie diesbezügliche Pläne, darunter die Option eines Frontalangriffs auf seine Ranch.
Die Dauerpräsenz des Militärs hatte die Berge von Sinaloa und Durango durchaus aufgewühlt, es gab sogar Gerüchte, die Behörden setzten weibliche Geheimdienstoffiziere ein, die Top-Narcos verführten, um ihnen Informationen zu entlocken. Ein hochrangiger Beamter dementierte jedoch: »Keine meiner Agentinnen hat sich bisher in einen Capo guapo (hübschen Capo) verliebt.«
Nur wenige Tage nach der Stellungnahme des Erzbischofs wurden zwei Offiziere des militärischen Nachrichtendienstes an einer Landstraße in Durango tot aufgefunden. Sie hatten – als Campesinos getarnt, die sich um Marihuanapflanzungen kümmerten – undercover in der Sierra gearbeitet. Bei den Leichen fand man auch eine Nachricht der Mörder.
Sie war unmissverständlich: »Ihr werdet Chapo nie kriegen. « 319
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Sinaloa AG
Die US-Behörden glaubten und hofften inständig, Chapo handele aus Verzweiflung.
Einen Monat vor dem Treffen in Sonoita hatte der Drogenbaron einen schweren Verlust hinnehmen müssen. »Operation Xcellerator«, eine von der DEA geführte internationale Ermittlung, hatte in den USA zur Verhaftung von 750 Personen geführt, die man der Zugehörigkeit zum Sinaloa-Kartell verdächtigte. DEA-Chefin Michele M. Leonhart sah darin einen »niederschmetternden Schlag« für Chapo. »Seien Sie versichert, dass die größte Ermittlung der DEA gegen das Sinaloa-Kartell und sein Netzwerk nicht unsere letzte gewesen sein wird.«
Die Operation war in der Tat ein denkwürdiger Erfolg. Sie hatte ihren Ausgangspunkt in Imperial County, Kalifornien, wo es der DEA nach einer erfolgreichen Drogenrazzia gelungen war, siebzig zum Sinaloa-Kartell gehörige Zellen ausfindig zu machen, die in sechsundzwanzig Bundesstaaten agierten. Einige waren als Großhändler in Metropolen wie New York und Los Angeles aktiv, andere in wenig bekannten Kleinstädten wie Brockton, Massachusetts, oder Stow, Ohio.
Stow ist eine kleine, 35 000 Einwohner zählende Stadt im Mittelwesten, die in den letzten Jahren dank Chapo bemerkenswerte Veränderungen durchlaufen hat. Der DEA zufolge wurden von Kalifornien aus Dutzende Kilo Kokain auf dem kleinen Flughafen der Stadt angelandet. Von dort aus wurde der Stoff nach Cleveland und Columbus – die beiden Großstädte des Bundesstaates – gebracht und an die Colleges der
Region weiterverteilt. Die Bürger von Stow hatten keine Ahnung, was sich da vor ihren Augen zutrug.
Obwohl die DEA durchaus stolz auf den Erfolg von »Operation Xcellerator« war – immerhin hatte sie Chapo rund eine Milliarde an Einnahmen gekostet –, musste man auch anerkennen, dass sie eine unschöne Wahrheit über das Ausmaß von Chapos Netz enthüllte. »Die Ausbreitung des Sinaloa-Kartells stellt eine unmittelbare Bedrohung für die Sicherheit gesetzestreuer Bürger überall in den USA und anderswo dar«, erklärte Leonhart. Zumal durch die Operation auch noch ein »Super-Meth-Labor« in Kanada aufgeflogen war, das ebenfalls zum Sinaloa-Kartell gehörte und in der Lage war, zwölftausend Ecstasy-Pillen pro Stunde zu produzieren. 345
Man konnte also nicht unbedingt davon ausgehen, dass Chapo schwer getroffen war. Vor allem, weil es Hinweise darauf gab, dass sein Kartell global expandiert hatte und inzwischen über eine ausgeklügelte Logistik, internationale Mitarbeiter und ein Management – vergleichbar mit einem multinationalen Konzern – verfügte.
Die mexikanischen Behörden hatten schon lange davor gewarnt, dass Chapo sich nicht mit der Kontrolle des mexikanischen Drogenhandels zufriedengeben würde. Er
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