El Silbador
Schloß verlassen?« fragte der Graf enttäuscht.
»Wohin wollt Ihr denn?« stellte Michel die verwunderte Gegenfrage.
»Weg«, sagte Don Esteban, »weit fort von hier. Auf, kommt, laßt uns so schnell wie möglich fliehen, damit wir bis morgen früh einen genügend großen Vorsprung haben.«
»Aus Euerm eigenen Schloß wollt Ihr fliehen? In drei Teufels Namen, Ihr werdet noch heute wieder Herr auf Villaverde sein! Wollt Ihr all das, was Euch gehört, Eurer Frau überlassen, die Euch so übel mitgespielt hat?«
»Wenn ich hierbleibe, dann wird sie mich über kurz oder lang wieder einsperren«, sagte der Graf erregt.
Michel war sprachlos. Hier half nur eine Gewaltkur.
»Zum Donnerwetter«, fuhr er den Grafen an, »was seid Ihr doch für ein Waschlappen! Wie könnt Ihr solche Angst vor einer Frau haben? Jetzt werden wir den Spieß umdrehen. Das Weib wird verhaftet, und zwar auf reguläre Art und Weise. Dann mögen die Gerichte mit ihr machen, was sie wollen. Und dabei müßt Ihr mir behilflich sein.« Der Graf ermannte sich. »Verzeiht«, sagte er, »Ihr habt mich falsch verstanden. Nicht die Angst vor meiner Frau wollte mich fliehen heißen, sondern die Angst vor mir selber. Ich bin nicht stark genug, um gegen meine Frau genau so unbarmherzig vorzugehen, wie sie gegen mich gehandelt hat. Gebt mir einen Rat.« Michel überlegte einen Augenblick. »Darüber können wir noch reden. Nur versprecht mir jetzt, daß Ihr für die nächste Zeit meine Anordnungen wörtlich befolgt, sonst ist meine ganze Arbeit umsonst gewesen.«
»Weshalb störst du uns noch so spät?« fragte Gräfin Marina, als ein Diener in den Salon trat, der anstelle des Majordomo das Amt des Haushofmeisters übernommen hatte. Der Mann verbeugte sich höflich und sagte:
»Verzeihung, Vuestra Merced, aber es ist soeben noch Besuch angekommen, der dringend empfangen zu werden bittet.«
»Besuch?« fragte der falsche Graf erstaunt. »Jetzt, um diese Zeit? Wer ist es?« »Der Pfarrer und der Alcalde von Bielsa«, antwortete der Diener.
»Der Pfarrer und der Alcalde? Was wollen sie um diese Zeit auf dem Schloß?«
Sie warf Fernando einen mißtrauischen Blick zu. Dann erhob sie sich und meinte:
»Wir werden wohl nicht umhin können, die beiden Herren zu empfangen. Führe sie herein.«
Die Angemeldeten kamen. Der Alcalde machte einen tiefen Bückling, wie es die Vorschrift heischte, der Pfarrer murmelte nur einen katholischen Gruß.
»Was wollt ihr zu so später Stunde noch auf dem Schloß, Senores?« fragte die Gräfin. Der Pfarrer trat einen Schritt vor und meinte:
»Ich komme nur, um eine traurige Pflicht zu erfüllen. Uns ist zu Ohren gekommen, daß Don Manuel tödlich verunglückt ist. Ich möchte ihn einsegnen, damit er in geweihter Erde beigesetzt werden kann.«
Die Gräfin wechselte einen schnellen Blick mit dem Grafen. Es war ihr unerfindlich, woher die beiden Dorfgewaltigen bereits vom Tode des Majordomo Kenntnis haben konnten. Aber sie hatte sich gut in der Gewalt.
»Selbstverständlich will ich Euch nicht an Eurer Pflicht hindern, Hochwürden, obwohl ich nicht einsehe, warum die Einsegnung nicht auch morgen noch zurechtgekommen wäre.« »Führt mich zu der Leiche, Gräfin!«
Diese Aufforderung kam Marina sichtlich ungelegen. Sie war auf das plötzliche Kommen des Pfarrers nicht vorbereitet gewesen; deshalb lag der tote Majordomo völlig unzeremoniell auf einer Holzkiste im Futterraum des Pferdestalles.»Nun, wenn Ihr denn unbedingt wollt, so folgt mir«, sagte sie kühl und wandte sich zur Tür. »Hier entlang.«
Zusammengekrümmt und ungewaschen lag die Leiche mit aufgerissenen Augen auf der Holzkiste.
»Diablo«, stieß der Alcalde entsetzt hervor.
»Ein sehr unpassender Ausdruck, den Ihr soeben gebrauchtet, Alcalde«, meinte die Gräfin mit kaltem Spott.
»An so heiliger Stätte, wo gleich der feierliche Akt einer Einsegnung erfolgen soll, wählt man seine Worte besser.«
Der Pfarrer, ein von seinem Glauben besessener, aber gerechter Mensch, meinte mit zorniger Stimme:
»Fast möchte ich dem Ausdruck meines Begleiters beistimmen. Es ist eine Schande, wie Ihr einen Toten aufbahrt, der Euch im Leben ein treuer Diener gewesen ist.«
»Einesteils habt Ihr recht, Senor Pfarrer, andererseits möchte ich sagen, daß mir dieser Aufenthaltsort für einen toten Verbrecher gut genug erscheint«, erscholl da auf einmal eine Stimme aus dem Dunkel des Pferdestalls.
Die vier Anwesenden fuhren herum.
»Wer ist da?« fragte der Pfarrer
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