El Silbador
Einwohnern meiner Heimat viel zu erzählen, wenn ich einmal zurückkehren sollte, was jedoch nicht so bald der Fall sein dürfte.« Während der letzten Worte hatte sich seine Stirn umwölkt. »Wer bist du also, mein Sohn?« fragte der Pfarrer abermals.
»Ein studierter Flüchtling«, antwortete Michel bitter. »Unter anderen Umständen wäre ich jetzt Arzt in meiner Heimatstadt. Leider lebt mein Land unter der Knute eines Tyrannen, so daß man nicht in freier Luft atmen kann. Deshalb habe ich es vorgezogen, mir so lange die Welt anzuschauen, bis den Landgrafen der Teufel geholt hat.«
»Eine kühne Sprache«, sagte der Pfarrer nachdenklich. »Kannst du beschwören, was du auf Schloß Villaverde erlebt hast?«
»Natürlich.«
»Ich verstehe nur eins nicht: wenn du so voreingenommen gegen den Adel bist, warum kümmerst du dich da um den gefangenen Grafen?«
»Menschenpflicht«, erwiderte Michel kurz. »Ich würde niemals einen Menschen leiden lassen,
der es nicht verdient hat, und sei es zehnmal ein Graf.«
Jetzt mischte sich der Alcalde wieder ein.
»Und was gedenkt Ihr nun zu unternehmen, Senor?«
»Ich rechne fest auf Eure Unterstützung, sonst wäre ich ja nicht zu Euch gekommen.« »Hm — und wie stellt Ihr Euch das vor?« Michel zuckte die Achseln.
»Mir ist es Hilfe genug, wenn ich weiß, daß ich mich auf Euch verlassen kann, daß Ihr mir versprecht, mir und dem echten Grafen nicht in den Rücken zu fallen. Dessen wollte ich mich versichern.«
Der Alcalde streckte ihm die Hand ihn.
»Wenn es um die Gerechtigkeit geht, so könnt Ihr jederzeit auf mich rechnen.« »Und wenn es sein muß, auch auf mich«, schloß sich der Pfarrer an.
»Was ist in Euch gefahren, Manuel?« fragte die Gräfin den Majordomo, der in den letzten Tagen seinen Leuten gegenüber merkwürdig freundlich und zurückhaltend in der Verteilung von Prügelstrafen geworden war.
»Oh, nichts Besonderes, Vuestra Merced«, druckste er herum. »Euch ist wohl Pedros unerwarteter Tod in die Glieder gefahren, was?« fragte sie. »Keineswegs, nein, ganz und gar nicht«, beeilte sich Don Manuel zu antworten. »Er hatte seine Strafe vollauf verdient.«
Marina sah ihn spöttisch an, lenkte dann aber auf ein anderes Thema über.
»Wenn Doktor Garcia kommt, so benachrichtige mich sofort. Ich muß ihn dringend sprechen.«
»Jawohl, Vuestra Merced«, verbeugte sich der Haushofmeister.
Doktor Garcia kam bald. Er war ein finsterer, verschlossener Mann, dessen Gesichtszüge nichts Gutes verhießen. Und es mochte für einen Patienten schwer halten, sich ihm anzuvertrauen. Dennoch hatten ihn Marina und der falsche Esteban zum Leibarzt des alten Grafen bestellt. Er wurde sofort vorgelassen. Als er mit dem sauberen Paar im Salon saß, vergewisserte sich Marina, daß niemand hinter den Türen stand und lauschte. Dann trat sie dicht vor ihn hin.
»Wir müssen das mit dem Alten beschleunigen, Doktor«, meinte sie. »Die Sache dauert mir allmählich zu lange.«
Ein schiefes Lächeln trat auf die Züge des Arztes. »Wollt Ihr ihn per Eilpost ins Jenseits befördern, Gräfin?« fragte er. »Was tut Euch der Alte? Wenn er langsam abstirbt, so wird das keinem Menschen auffallen. Wenn er sich aber morgen früh nicht mehr rührt, dann könnte es unter Umständen Verdacht geben.«
»Verdacht hin, Verdacht her. Ihr wißt, daß er noch immer der eigentliche Herr auf dem Schloß ist. Und manchmal hat er merkwürdige Anwandlungen, sich trotz seiner geistigen Umnachtung dessen wieder zu besinnen. Er ist zum Beispiel noch so klar bei Verstand, daß er oft erst nach langem Überreden eine Anweisung auf die Bank von Madrid unterschreibt, wenn ich meine Rechnungen bezahlen will. Und schließlich kann ich ihn nicht entmündigen lassen. Ihr wißt, in unserer Situation soll man sich nicht unnötig auf den Gerichten herumtreiben.« Doktor Garcia grinste sie unverschämt an.
»Ich habe ein Mittel, das man ihm grammweise ins Essen geben könnte. In spätestens drei Wochen wäre er dann hinüber. Aber — das Mittel ist sehr kostbar. Es ist nicht unter fünfzehntausend Pesetas zu haben.«
Marina vergaß für einen Augenblick, die Würde zu wahren, die sie ihrem Titel schuldig war. »Fünfzehntausend Pesetas? Das ist doch nicht Euer Ernst, Doktor?« Garcia blickte sie eindringlich an.
»Ich pflege nie zu scherzen, wenn es sich um Geld handelt. Soweit müßtet Ihr mich doch kennen.«
»Aber eine solche Summe ist unerschwinglich, wenigstens in kurzer Zeit«, mischte sich
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