Elantris
beschrieben wurden. Trotzdem war Raoden stolz auf sein wachsendes Können. Es hatte Tage gedauert, bis er die Reihe aus vier Aonen beherrschte, die Tia besagten, dass es ihn genau um zehn Körperlängen versetzen sollte.
Mit einem zufriedenen Lächeln beobachtete er das leuch tende Muster, bis es aufblitzte und wieder verschwand, ohne auch nur das Geringste bewirkt zu haben.
»Du wirst immer besser, Sule«, meinte Galladon, der am Fensterbrett lehnte und in das Kapelleninnere spähte.
Raoden schüttelte den Kopf. »Ich bin noch lange nicht so weit, Galladon.«
Der Dula zuckte mit den Schultern. Galladon hatte es aufgegeben, Raoden davon überzeugen zu wollen, dass es sinnlos war, AonDor zu üben. Egal, was es sonst noch zu tun gab, Raoden verbrachte jeden Tag ein paar Stunden damit, seine Aonen zu zeichnen. Es beruhigte ihn; die Schmerzen ließen nach, während er Aonen zeichnete, und im Laufe dieser wenigen kurzen Stunden fühlte er sich so ruhig wie schon lange nicht mehr.
»Wie steht es mit dem Getreide?«, erkundigte sich Raoden.
Galladon drehte sich um und ließ seinen Blick über den Garten wandern. Die Getreidehalme waren noch kurz, kaum mehr als Sprösslinge. Es entging Raoden nicht, dass die Stängel zu welken begannen. Im Laufe der vergangenen Woche waren die meisten von Galladons Arbeitskräften verschwunden, und nun war nur noch der Dula übrig, um den winzigen Bauernhof zu bestellen. Jeden Tag ging er mehrfach zu dem Brunnen, um Wasser für seine Pflanzen zu holen, aber er konnte nicht viel tragen, und der Eimer, den Sarene ihnen gegeben hatte, hatte ein Loch.
»Das wird schon«, sagte Galladon. »Vergiss nicht, Karata aufzutragen, dass sie bei der nächsten Bestellung um Dünger bitten soll.«
Raoden schüttelte den Kopf. »Das geht nicht, mein Freund. Der König darf auf keinen Fall dahinter kommen, dass wir unsere eigene Nahrung anbauen.«
Galladons Miene verfinsterte sich. »Na, dann könntet Ihr doch stattdessen Dung bestellen.«
»Zu offensichtlich.«
»Na, dann bittet um Fische«, sagte er. »Sag einfach, du hättest auf einmal Gelüste auf Trikebutt.«
Raoden nickte seufzend. Er hätte es sich genauer überlegen sollen, als er den Garten hinter seinem eigenen Haus anlegen ließ. Auf den Gestank von fauligem Fisch freute er sich nicht gerade.
»Das Aon hast du aus dem Buch gelernt?«, fragte Galladon und lehnte sich lässig durch das Fenster. »Was soll es bewirken?«
»Aon Tia?«, fragte Raoden. »Das ist ein Beförderungsaon. Vor der Reod konnte dieses Aon einen Menschen von Elantris auf die andere Seite der Welt transportieren. In dem Buch findet es Erwähnung, weil es eines der gefährlichsten Aonen war.«
»Gefährlich?«
»Man muss sehr genau sein, was die Richtung betrifft, in die es einen schicken soll. Sagt man ihm, es solle einen genau zehn Meter weit transportieren, wird es das auch tun - ganz egal, was sich zufälligerweise in zehn Metern Entfernung befindet. Man könnte ohne Weiteres mitten in einer Steinmauer landen.«
»Dann lernst du also viel aus dem Buch?«
Raoden zuckte die Achseln. »Manches. Hauptsächlich Grundlegendes.« Er blätterte in dem Buch zu einer Seite zurück, die er markiert hatte. »Wie das hier zum Beispiel: Etwa zehn Jahre vor der Reod brachte ein Mann seine Frau nach Elantris, um dort ihre Lähmung behandeln zu lassen. Doch der elantrische Heiler verzeichnete sich ein wenig bei dem Aon Ien - und anstatt einfach nur zu verschwinden, blitzte das Zeichen auf und übergoss die arme Frau mit einem rötlich e n Licht. Sie bekam schwarze Flecken auf der Haut, und ihr Haar wurde schlaff und fiel ihr bald ganz aus. Kommt dir das irgendwie bekannt vor?«
Interessiert zog Galladon eine Braue empor.
»Kurze Zeit später ist sie verstorben«, sagte Raoden. »Sie sprang von einem Gebäude und schrie, dass die Schmerzen nicht auszuhalten seien.«
Galladon runzelte die Stirn. »Was hat der Heiler falsch ge macht?«
»Im Grunde hat er nur etwas vergessen«, erklärte Raoden. »Er hat eine der drei Grundlinien weggelassen. Ein törichter Fehler, der aber nicht solch eine drastische Wirkung nach sich ziehen sollte.« Raoden hielt inne und betrachtete die Buch seite nachdenklich. »Es ist fast, als ob ...«
»Als ob was, Sule?«
»Na, das Aon war nicht vollständig, stimmt's?«
»Kolo.«
»Also hat der Heilungsprozess vielleicht eingesetzt, konnte aber die Sache nicht vollenden, weil seine Anweisungen unvollständig waren«, sagte Raoden. »Was, wenn trotz des Feh lers immer noch
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