Elantris
Fehltritt, und du stürzt eine Treppe hinab, die so lang - und schmerzvoll - ist wie eine der Geschichten meiner Hama.«
Raoden nickte und fing an, die Stufen emporzusteigen. Der Dula folgte ihm. Vor der Reod musste der Treppenaufgang durch elantrischen Zauber erhellt worden sein, aber jetzt wurde die Dunkelheit nur von den gelegentlichen dünnen Lichtstrahlen aus den vereinzelten Fensterschlitzen durchbrochen. Die Stufen verliefen spiralförmig an der Außenwand des Bauwerks nach oben, und die unteren Stufen der gewundenen Treppe waren im Dämmerlicht zu sehen, wenn man in der Mitte nach unten blickte. Einst hatte es ein Geländer gegeben, das aber schon vor langer Zeit vermodert sein musste.
Sie mussten etliche Pausen einlegen, weil ihre elantrischen Körper einer derartigen Anstrengung nicht gewachsen waren. Nach einiger Zeit erreichten sie jedoch das Ende der Treppe. Die Holztür hier oben war neuer. Die Stadtwache hatte vermutlich die ursprüngliche Tür ersetzt, nachdem sie vermodert war. Es gab keinen Griff; im Grunde war es gar keine richtige Tür.
»Weiter bin ich nicht gekommen, Sule«, sagte Galladon. »Bin die Stufen bis ganz nach oben gestiegen, bloß um dann herauszufinden, dass ich eine Axt brauche, um weiterzukommen.«
»Deshalb haben wir ja auch das hier mitgebracht.« Raoden zog die Axt hervor, mit der Taan einst beinahe ein Haus über ihm zum Einsturz gebracht hätte. Die beiden machten sich an die Arbeit und hackten abwechselnd auf das Holz ein.
Selbst mit dem Werkzeug war es schwierig, durch die Tür zu kommen. Raoden war schon nach wenigen Axtschlägen erschöpft, und jeder einzelne Hieb schien kaum eine Kerbe in dem Holz zu hinterlassen. Endlich gelang es ihnen, eine Planke zu lockern, und angespornt von diesem Erfolg, schafften sie es schließlich, ein Loch in das Holz zu schlagen, das so groß war, dass sie sich hindurchquetschen konnten.
Der Ausblick war die Anstrengungen wert. Raoden war schon Dutzende Male auf der Mauer von Elantris gewesen, aber Kae zu sehen war noch nie so wundervoll gewesen. Die Stadt lag ruhig da, allem Anschein nach waren seine Befürchtungen, es könnte eine Invasion gegeben haben, voreilig gewesen. Lächelnd genoss Raoden das Gefühl, etwas vollbracht zu haben. Es kam ihm vor, als habe er einen Berg bestiegen, anstatt eine einfache Treppe erklommen zu haben. Die Mauern von Elantris befanden sich endlich wieder in den Händen derer, die sie erschaffen hatten.
»Wir sind am Ziel«, sagte Raoden und lehnte sich gegen die Brüstung.
»Hat lange genug gedauert«, stellte Galladon fest und trat neben ihn.
»Bloß ein paar Stündchen«, meinte Raoden leichthin. Im Glücksgefühl des Erfolges waren die Qualen der Arbeit völlig vergessen.
»Ich habe nicht die Tür gemeint. Ich versuche nun schon seit drei Tagen, dich hier heraufzubringen.«
»Ich war beschäftigt.«
Galladon schnaubte und murmelte etwas in sich hinein.
»Was war das?«
»Ich habe gesagt: >Ein zweiköpfiger Ferrin verlässt sein Nest nicht.«<
Raoden lächelte, denn er kannte das jindoesische Sprichwort. Ferrine waren gesprächige Vögel, deren Schreie oft über dem jindoesischen Sumpfland erschallten. Das Sprichwort fand immer dann Anwendung, wenn jemand einen neuen Zeitvertreib gefunden hatte. Oder eine neue Liebe.
»Ach, komm schon«, sagte Raoden mit einem Blick auf Galladon. »So schlimm bin ich auch wieder nicht.«
»Sule, im Laufe der letzten drei Tage seid ihr nur dann voneinander getrennt gewesen, wenn einer von Euch aufs Klo musste. Sie wäre jetzt hier, wenn ich dich nicht, als gerade niemand guckte, geschnappt hätte.«
»Nun«, verteidigte Raoden sich, »sie ist nun einmal meine Frau.«
»Und hast du vor, sie jemals über diesen Umstand aufzuklären?«
»Vielleicht«, erwiderte Raoden unbestimmt. »Ich möchte nicht, dass sie sich mir verpflichtet fühlt.«
»Nein, natürlich nicht.«
»Galladon, mein Freund«, sagte Raoden, den die Bemerkungen des Dulas nicht im Geringsten aus der Fassung brachten, »dein Volk wäre entsetzt, wenn es vernähme, wie unromantisch du bist.« Duladel war berüchtigt für melodramatische Romanzen und Geschichten verbotener Liebe.
Anstatt einer Antwort erntete Raoden ein verächtliches Schnaufen, mit dem Galladon ihm zu verstehen gab, was er von den romantischen Neigungen des durchschnittlichen Dulas hielt. Dann wandte Galladon sich ab und ließ den Blick über Kae schweifen. »Also, Sule, nun sind wir hier oben. Was machen wir jetzt?«
»Ich weiß es nicht«, gab
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