Elantris
Fjordeller waren berüchtigt, Nutzen aus derlei Ereignissen zu ziehen. Raoden musste herausfinden, was jenseits der elantrischen Mauern geschah.
Endlich gelangten Galladon und er an ihr Ziel - nicht Neu- Elantris, sondern das niedrige, unauffällige Gebäude, das den Eingang zu dem heiligen Ort bildete. Galladon hatte kein Wort gesagt, als er herausgefunden hatte, dass Raoden Sarene in die Bibliothek mitgenommen hatte. Es war dem Dula sogar anzusehen gewesen, dass er eine solche Entwicklung erwartet hatte.
Kurz darauf betraten Raoden und Galladon die unterirdische Bibliothek. Nur wenige der Lampen an den Wänden brannten, weil sie Brennmaterial sparen wollten. Raoden konnte jedoch ohne Weiteres Sarenes Gestalt ausmachen, die an einem der Schreibtische an der Rückwand über ein Buch gebeugt saß, ganz so, wie er sie zurückgelassen hatte.
Als sie sich ihr näherten, war ihr Gesicht immer deutlicher zu erkennen, und Raoden kam nicht umhin, wieder einmal ihre Schönheit zu bewundern. Die Haut eines Elantriers mit ihren dunklen Flecken war mittlerweile etwas Alltägliches geworden und fiel ihm gar nicht mehr weiter auf. Sarenes Körper schien sich ohnehin bemerkenswert leicht an die Shaod zu gewöhnen. Normalerweise zeigten sich bereits nach wenigen Tagen die nächsten Zeichen des Verfalls: Falten und Furchen gruben sich in die Haut, die übrige fleischfarbene Haut stumpfte zu einem leblosen Weiß ab. Sarene wies nichts dergleichen auf. Ihre Haut war so glatt und lebendig wie am Tag ihrer Ankunft in Elantris.
Sie behauptete, ihre Verletzungen täten nicht immer weiter weh, wie es eigentlich der Fall sein sollte - obgleich Raoden sicher war, dass dem nur so war, weil sie niemals außerhalb von Neu-Elantris gelebt hatte. Viele der letzten Neuankömmlinge litten nicht unter den schlimmsten elantrischen Schmerzen, da die Arbeit und die positive Stimmung sie davon abhielt, sich auf ihre Verletzungen zu konzentrieren. Hungrig war sie auch nicht geworden; allerdings hatte sie auch in dieser Hinsicht das Glück, zu einer Zeit gekommen zu sein, zu der jeder Gelegenheit hatte, mindestens eine Mahlzeit am Tag zu sich zu nehmen. Ihre Vorräte würden höchstens einen Monat reichen, aber es bestand kein Grund zum Horten. Nahrungsmangel war nicht tödlich für Elantrier, lediglich unangenehm.
Am schönsten waren ihre Augen - die Art, wie sie alles mit regem Interesse musterten. Sarene nahm ihre Umwelt nicht einfach nur wahr, sie betrachtete sie eingehend. Wenn sie sprach, verrieten ihre Worte Nachdenklichkeit. Diese Intelligenz fand Raoden am anziehendsten an seiner teoischen Prinzessin.
Sarene blickte auf, als sie auf sie zukamen. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein aufgeregtes Lächeln aus. »Lebensgeist! Ihr werdet niemals erraten, worauf ich gestoßen bin!«
»Da habt Ihr recht«, räumte Raoden mit einem Lächeln ein. Er war unsicher, wie er das Thema Informationen über die Außenwelt anschneiden sollte. »Von daher könnt Ihr es mir ebenso gut verraten.«
Sarene hielt ihr Buch empor und zeigte ihnen den Buchrücken, auf dem geschrieben stand: Seors Enzyklopädie politischer Mythen. Obwohl Raoden Sarene die Bibliothek gezeigt hatte, um ihr unstillbares Interesse an AonDor zu sättigen, hatte sie dieses Studium aufgeschoben, sobald ihr klar geworden war, dass es ein ganzes Regal voll Bücher über Politiktheorie gab. Zum Teil hing diese Verlagerung ihres Interesses wohl mit ihrer Ungeduld bezüglich AonDor zusammen. Sie konnte keine Aonen in die Luft malen, ja sie schaffte es noch nicht einmal, die leuchtenden Linien erscheinen zu lassen. Anfangs war Raoden ratlos gewesen, aber Galladon hatte erklärt, dies sei keineswegs ungewöhnlich. Selbst vor der Reod hatten manche Elantrier jahrelang gebraucht, um AonDor zu erlernen. Wenn man auch nur die erste Linie ein wenig schief zeichnete, erschien nichts. Raodens eigener sofortiger Erfolg war geradezu außergewöhnlich gewesen.
Doch Sarene teilte diese Meinung keineswegs. Sie gehörte zu den Menschen, die sich ärgerten, wenn sie länger als andere für etwas brauchten. Sarene selbst war der Auffassung, dass sie die Aonen einwandfrei zeichnete - und Raoden konnte tatsächlich keine Fehler an ihren Bewegungen entdecken. Die Zeichen wollten trotzdem einfach nicht erscheinen, und keine noch so heftige prinzessinnenhafte Empörung konnte daran etwas ändern.
Deshalb hatte Sarene ihr Augenmerk auf politische Werke verlegt. Allerdings ging Raoden davon aus, dass sie das letzten Endes
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