Elantris
Mylord. Wenn wir jetzt den Thron besteigen, dann mithilfe von Gewalt, nicht von Intrigen
oder politischem Kalkül.«
Der betagte Mann nickte versonnen. »Ach, es war ohnehin zu schön, um wahr zu sein, meine Liebe.
Dann also gute Nacht.«
»Gute Nacht.« Sarene lächelte herzlich, als der Herzog ging. Drei Verlobungen und keine einzige
Hochzeit. Sie hatte wahrlich nicht viel vorzuweisen. Seufzend sah sie zu, wie Roial die Tür hinter sich
schloss, und wandte sich dann Kiin zu, der gemächlich die Tafel abräumte.
»Onkel«, sagte sie. »Telrii ist in den Palast gezogen, und meine Sachen sind verbrannt worden. Auf
einmal habe ich kein Dach über dem Kopf mehr. Darf ich vielleicht dein Angebot von vor zwei Monaten
annehmen und hier einziehen?«
Kiin lachte glucksend. »Meine Gattin wäre dir ernsthaft böse, wenn du es nicht tätest, Ene. Sie hat die
letzte Stunde damit verbracht, dir ein Zimmer herzurichten.«
Sarene saß in einem Nachthemd ihrer Tante auf ihrem neuen Bett. Die Beine hatte sie fest an die
Brust gezogen, den Kopf kummervoll nach vorn gebeugt.
Ashe zerfloss vorübergehend, und das Gesicht ihres Vaters verschwand, als das Seon wieder seine
normale Gestalt annahm. »Es tut mir leid, Mylady.«
Sarene nickte, wobei ihr kahler Kopf gegen ihre Knie rieb. Hrathen hatte nicht gelogen; er hatte noch
nicht einmal übertrieben. Ihr Vater war zum Shu-Dereth übergetreten.
Die Zeremonie war noch nicht abgehalten worden, denn es gab keine derethischen Priester in Teod.
Doch es war offensichtlich, dass Hrathen vorhatte, in ihre Heimat zu reisen, sobald er in Arelon fertig war,
und persönlich den formellen Eid ihres Vaters entgegenzunehmen. Nach dem Eid würde Even- teo sich
ganz unten in der derethischen Hierarchie befinden, sodass er gezwungen wäre, selbst den Launen
eines einfachen Priesters zu gehorchen.
Sämtliche Vorwürfe und Erklärungen hatten bei ihrem Vater nichts ausrichten können. Eventeo war
ein ehrlicher Mann. Er hatte Hrathen geschworen, dass er den Glauben wechseln würde, wenn Sarene
sicher zurückkehrte. Es war gleichgültig, dass die Intrigen des Gyorns sowohl hinter ihrer Verbannung als
auch ihrer Errettung steckten; der König würde sein Versprechen halten.
Und Teod würde seinem Beispiel folgen. Selbstverständlich würde es dauern. Die Bewohner von Teod
waren keine Schafe. Doch wenn die Artethen erst einmal Sarenes Heimat überschwemmten, würden sie
statt auf Fäuste auf offene Ohren stoßen; und das alles, weil das Volk wusste, dass sein König derethisch
war. Teod wäre ein für alle Mal verändert.
Und er hatte es um ihretwillen getan. Natürlich behauptete er, obendrein zu wissen, dass es das Beste
für das Land sei. Wie gut Teods Marine auch sein mochte, die gewaltige Übermacht der Fjordeller
garantierte, dass ihre Angriffe die Kriegsflotte eines Tages besiegen würden. Eventeo behauptete, er
werde auf keinen Fall einen hoffnungslosen Krieg ausfechten.
Und dies von dem Mann, der Sarene gelehrt hatte, für ein Prinzip zu kämpfen sei die Sache immer
wert. Eventeo hatte geschworen, dass an der Wahrheit nicht zu rütteln sei und dass keine Schlacht
vergeblich war - noch nicht einmal eine hoffnungslose -, wenn man verteidigte, was rechtens war. Doch
anscheinend war seine Liebe stärker als die Wahrheit. Sarene fühlte sich geschmeichelt, aber das Gefühl
bereitete ihr gleichzeitig auch Übelkeit. Teod würde ihretwegen untergehen und zu einer weiteren
fjordellischen Provinz werden, deren König nichts weiter als ein Diener des Wyrns wäre. Eventeo hatte angedeutet, sie solle dafür sorgen, dass Arelon seinem Beispiel folgte. Allerdings hatte
sie aus seiner Stimme heraushören können, dass er stolz war, als sie sich weigerte. Sie würde Arelon
beschützen. Und Elantris. Sie würde um das Überleben ihrer Religion kämpfen, weil Arelon - das arme,
schwächliche Arelon - die letzte Freistätte des Shu-Korath war. Während Arelon einst ein Land gewesen
war, das von Göttern bevölkert wurde, würde es nun Domi höchstpersönlich als letzte Zufluchtsstätte
dienen.
Hrathen saß mit wachsender Unzufriedenheit im Vorzimmer des neuen Audienzsaals des Palasts. Um
ihn her machten sich bereits die Anzeichen des Regierungswechsels bemerkbar. Es war erstaunlich,
dass ein einziger Mann so viele Gobelins, Teppiche und Brokatstoffe besitzen konnte. Das Zimmer war
mit derart vielen Tüchern und Stoffen ausstaffiert, dass Hrathen erst einen Kissenberg aus dem Weg
räumen musste, bevor er einen Steinsims
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