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Elantris

Elantris

Titel: Elantris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
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doch bisher hatte er keinerlei Erklärungen gefunden.
Das Dor griff ihn jetzt mindestens zweimal am Tag an. Jeder Kampf wirkte, als sei er der letzte, und
jedes Mal schien Raoden ein wenig schwächer daraus hervorzugehen; als sei seine Energie ein
Brunnen, dessen Wasserspiegel im Laufe jeder Auseinandersetzung ein Stückchen sank. Die Frage
lautete nicht, ob er zugrunde ginge oder nicht, sondern ob er dem Geheimnis auf die Spur käme, bevor er
zugrunde ging.
Raoden schlug frustriert gegen die Landkarte. Seit Sarene fort war, waren fünf Tage vergangen, und
er konnte die Antwort noch immer nicht finden. Allmählich hatte ihn das Gefühl beschlichen, dass er ewig
so weitermachen würde: dem Geheimnis des AonDor quälerisch nahe, doch niemals in der Lage, es
ganz zu lüften.
Die große Landkarte, die jetzt in der Nähe seines Schreibtisches an der Wand hing, raschelte, als er
sie glatt strich, um die Linien darauf betrachten zu können. Die Kanten der alten Karte waren abgenutzt,
und die Tinte wurde schon ganz blass. Die Karte hatte Elantris' Ruhmeszeiten und den Fall der Stadt
erlebt. Wie Raoden sich wünschte, sie könnte sprechen und ihm die Geheimnisse einflüstern, von denen
sie wusste!
Er schüttelte den Kopf und ließ sich in Sarenes Sessel nieder, wobei er mit dem Fuß versehentlich
einen ihrer Bücherstapel umstieß. Seufzend lehnte er sich in dem Sessel zurück und fing zu zeichnen an.
Vielleicht würden die Aonen ihm Trost spenden.
In letzter Zeit wandte er eine neue, fortgeschrittene Aon- Dor-Technik an. Laut den Büchern waren
Aonen wirkungsvoller, wenn man nicht nur die Länge und Krümmung der einzelnen Linien beachtete,
sondern auch deren Breite. Zwar funktionierten sie auch dann, wenn die Linien alle gleich breit waren,
aber wenn man an den richtigen Stellen schmaler oder breiter zeichnete, wurde die Wirkung zielsicherer
und stärker.
Folglich übte Raoden, wie es die Anleitung vorschrieb, und benutzte den kleinen Finger für schmale
Linien und den Daumen, um breitere Linien zu malen. Er konnte auch Werkzeuge verwenden - wie zum
Beispiel einen Stock oder eine Feder. Es war üblich, die Finger zu benutzen, aber die letztendliche
Gestalt der Aonen war viel wichtiger als die jeweiligen Zeichenutensilien. Immerhin hatten die Elantrier
AonDor benutzt, um bleibende Zeichen in Fels oder Stein zu meißeln, und hatten sie sogar aus Draht,
Holzstücken und vielen anderen Materialien angefertigt. Anscheinend war es schwierig, Aon- DorZeichen aus physischen Objekten zu erschaffen, aber die Aonen verfügten dennoch über die gleiche
Wirkung, egal ob sie in die Luft gezeichnet oder aus Stahl geformt worden waren.
Seine Übungen waren vergebens. Es war gleichgültig, wie gut er im Zeichnen von Aonen war, denn
keines der Zeichen entfaltete seine Wirkung. Mithilfe seiner Fingernägel zeichnete er Linien, die so dünn
waren, dass man sie fast nicht sehen konnte. Andere zeichnete er mit drei Fingern nebeneinander, genau
wie es in seinen Büchern empfohlen wurde. Und es war sinnlos. All sein Auswendiglernen, all seine
Arbeit. Warum hatte er sich überhaupt die Mühe gemacht?
Im Korridor waren Schritte zu hören. Mareshes neueste fortschrittliche Erfindung bestand in Schuhen
mit dicker nagelbeschlagener Ledersohle. Raoden beobachtete durch sein durchsichtiges Aon hindurch,
wie sich die Tür öffnete und Galladon hereinkam.
»Ihr Seon war gerade wieder da, Sule«, sagte der Dula.
»Ist es immer noch da?«
Galladon schüttelte den Kopf. »Es ist gleich wieder verschwunden. Ich soll dir ausrichten, dass sie
endlich die Lords überzeugt hat, gegen König Telrii zu rebellieren.«
Sarene hatte ihnen durch ihr Seon tägliche Berichte über ihre Aktivitäten zukommen lassen - ein
Dienst, der ein zweifelhaftes Vergnügen darstellte. Raoden wusste, dass er sich anhören sollte, was
draußen vor sich ging, aber er sehnte sich nach der entspannteren Unwissenheit von vorher. Damals
hatte er sich nur um Elantris Sorgen machen müssen. Jetzt zehrte die Sorge um das gesamte Königreich
an seinen Nerven - ein Umstand, den er hinnehmen musste, und zwar zusammen mit dem schmerzvollen
Wissen, nichts tun zu können.
»Hat Ashe gesagt, wann die nächste Ladung Vorräte eintreffen wird?«
»Heute Abend.«
»Gut«, sagte Raoden. »Hat er gesagt, ob sie persönlich kommen wird?«
»Unter der gleichen Bedingung wie bisher, Sule«, sagte Galladon mit einem Kopfschütteln. Raoden nickte und versuchte, sich seine Melancholie nicht anmerken zu lassen.

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