Elantris
Galladon enttäuscht. »Und mein Herz schlägt
nicht.«
»Das Aon hat sich nicht verhalten, wie es sollte«, sagte Raoden. »Es ist einfach verschwunden, wie
vorher, als wir noch nichts über die Schluchtlinie gewusst haben. Das Dor hat kein Ziel für seine Energien
finden können.«
»Was bringt uns das Ganze dann, Sule?« In Galladons Stimme schwang bittere Enttäuschung mit.
»Wir werden trotzdem hier in dieser Stadt verrotten.«
Raoden legte dem Dula tröstend eine Hand auf die Schulter. »Es ist nicht sinnlos, Galladon. Uns ist
die Macht der Elantrier gegeben. Manches mag nicht funktionieren, aber vielleicht nur, weil wir nicht
genug herumexperimentiert haben. Denk doch nur! Dies ist die Kraft, die Elantris einst seine Schönheit
verliehen, die Kraft, die ganz Arelon ernährt hat! Gib nicht die Hoffnung auf, wo wir so nahe daran sind.« Galladon sah ihn an und lächelte dann reumütig. »Niemand kann in deiner Gegenwart aufgeben,
Sule. Du lässt es einfach nicht zu, dass ein Mann verzweifelt.«
Als sie weitere Aonen ausprobierten, wurde immer deutlicher, dass das Dor immer noch von etwas
blockiert wurde. Die Zeichen brachten einen Papierstapel zum Schweben, aber kein ganzes Buch. Sie
ließen eine der Wände blau werden und sie anschließend wieder ihre ursprüngliche Farbe annehmen,
und Raoden gelang es, ein kleines Häufchen Kohle in ein paar Getreidekörner zu verwandeln. Die
Ergebnisse waren ermutigend, aber viele Aonen funktionierten überhaupt nicht.
Zum Beispiel verging jedes Aon wirkungslos, das auf einen von ihnen gerichtet war. Ihre Kleidung war
ein mögliches Ziel, ihre Körper jedoch nicht. Raoden brach sich ein Stück von seinem Daumennagel ab
und versuchte, ihn zum Schweben zu bringen, was ihm allerdings nicht einmal ansatzweise gelang.
Raodens einzige Erklärung war die gleiche, der er früher schon einmal Ausdruck verliehen hatte. »Unsere Körper sind mitten in diesem Verwandlungsprozess erstarrt, Galladon«, erläuterte er,
während er ein Blatt Papier betrachtete, das vor ihm schwebte und dann in Flammen aufloderte. Zu einer
Wirkungskette verbundene Aonen schienen zu funktionieren. »Die Shaod ist noch nicht mit uns fertig.
Was auch immer die Aonen daran hindert, ihre ganze Wirkungskraft zu entfalten, hält auch uns davon ab,
zu echten Elantriern zu werden. Es sieht so aus, als könnte kein Aon etwas bei uns bewirken, bevor
unsere Verwandlung nicht abgeschlossen ist.«
»Ich begreife diese erste Explosion noch immer nicht«, sagte Galladon und übte das Aon Ashe vor
sich in der Luft. Der Dula kannte nur wenige Aonen, und es bereitete ihm Mühe, sie mit seinen dicken
Fingern genau zu zeichnen. Noch während er sprach, unterlief ihm ein kleiner Fehler, und das Zeichen
verblasste wieder. Er runzelte die Stirn und fuhr dann mit seiner Frage fort: »Sie wirkte so machtvoll.
Wieso hat sonst nichts derart gut funktioniert?«
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Raoden. Vor Kurzem hatte er erneut, wenn auch zögerlich, das
Aon Ehe mit den gleichen modifizierenden Zeichen wie zuvor in die Luft geschrieben und somit eine
komplizierte Rune erschaffen, die eine weitere Feuersäule hervorbringen sollte. Stattdessen hatte das
Aon kaum genug Feuer ausgespuckt, um eine Tasse Tee zu erwärmen. Er vermutete, dass die erste
Explosion etwas damit zu tun gehabt hatte, wie das Dor durch ihn hindurchgeschossen war ... ein
Ausdruck seiner lange ersehnten Freiheit.
»Vielleicht ist da so eine Art Stau im Dor gewesen«, sagte Raoden. »Wie eine Gasblase oben in einer
Höhle. Das erste Aon, das ich gezeichnet habe, hat diesen Vorrat aufgebraucht.«
Galladon zuckte mit den Schultern. Es gab so vieles, was sich ihrem Verständnis entzog. Raoden saß
einen Augenblick schweigend da. Als sein Blick auf eines seiner Bücher fiel, kam ihm ein Gedanke. Er stürzte auf seinen Stapel mit AonDor-Büchern zu und wählte einen dicken Band aus, der nichts als
Aonendarstellungen enthielt. Galladon, den er einfach sitzen gelassen hatte, folgte ihm mit säuerlicher
Miene. Er lugte über Raodens Schulter auf die Buchseite, die Raoden aufgeschlagen hatte. Das Aon war umfangreich und kompliziert. Raoden musste beim Zeichnen mehrere Schritte seitwärts
gehen, weil die modifizierenden Zeichen und Verklausulierungen weit über das Aon in der Mitte
hinausreichten. Sein Arm tat weh, als er endlich fertig war und das Gebilde wie eine Mauer aus
leuchtenden Linien in der Luft hing. Dann fing es zu funkeln an, und die unzähligen Punkte und
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