Elantris
Linien
wirbelten umher, drehten sich und wickelten sich wie eine beschriftete Decke um Raoden. Galladon stieß
angesichts des jähen hellen Lichts einen überraschten Schrei aus.
Ein paar Sekunden später verschwand das Licht wieder. Raoden erkannte an Galladons
entgeistertem Gesichtsausdruck, dass er erfolgreich gewesen war.
»Sule ... du hast es geschafft! Du hast dich geheilt!«
»Leider nicht«, sagte Raoden mit einem Kopfschütteln. »Es ist bloß eine Illusion. Sieh doch.« Er hielt
die Hände empor, die immer noch grau waren und schwarze Flecken aufwiesen. Sein Gesicht hatte sich
jedoch verändert. Er ging zu einem Bücherregal und betrachtete sein Spiegelbild in einer polierten
Schmuckplatte an der Seite.
Sein verzerrtes Abbild zeigte ein unbekanntes Gesicht: frei von Flecken, sicher, aber es sah seinem
wahren Gesicht, bevor die Shaod ihn ereilt hatte, nicht im Geringsten ähnlich.
»Eine Illusion?«, fragte Galladon.
Raoden nickte. »Sie fußt auf dem Aon Shao, aber es sind so viele Dinge beigemischt, dass das
Grundaon kaum mehr eine Rolle spielt.«
»Aber es sollte bei dir nicht funktionieren«, sagte Galladon. »Ich dachte, wir seien zu
der Erkenntnis gelangt, dass die Aonen sich nicht auf Elantrier richten lassen.« »Es ist auch nicht auf mich gerichtet«, sagte Raoden und drehte sich zu seinem
Freund um. »Es ist auf mein Hemd gerichtet. Der Illusionszauber ist im Grunde wie ein
Kleidungsstück. Er überdeckt meine Haut, ohne auch nur das Geringste an ihrem
eigentlichen Zustand zu ändern.«
»Was nützt das Ganze dann?«
Raoden lächelte. »Es wird uns aus Elantris heraushelfen, mein Freund.«
Kapitel 50
Warum hast du so lange gebraucht?«
»Ich habe Lebensgeist nicht finden können, Mylady«, erklärte Ashe, der durch das
Fenster ihrer Kutsche geflogen kam. »Also habe ich die Botschaft dem jungen Herrn Galladon übermitteln müssen. Danach habe ich nach König Telrii gesehen.« Sarene tippte sich verärgert an die Wange. »Was treibt er denn?«
»Galladon oder der König, Mylady?«
»Der König.«
»Seine Majestät ist sehr beschäftigt. Er rekelt sich in seinem Palast, während die
Hälfte des arelischen Adels draußen wartet«, sagte das Seon mit Missbilligung in der
Stimme. »Ich glaube, seine größte Beschwerde derzeit ist der Umstand, d beim
Palastpersonal nicht genug junge Frauen übrig sind.«
»Wir haben einen Narren durch einen anderen ersetzt? sagte Sarene kopfschüttelnd.
»Wie hat dieser Mann jemals genug Vermögen angehäuft, um Herzog zu werden?« »Hat er nicht, Mylady«, erklärte Ashe. »Sein Bruder hat den Großteil der Arbeit
geleistet. Telrii hat nach dem Tode d Mannes geerbt.«
Sarene seufzte und lehnte sich zurück, als die Kutsche über eine Unebenheit führ.
»Ist Hrathen dort?«
»Des Öfteren, Mylady«, sagte Ashe. »Anscheinend besucht er den König jeden
Tag.«
»Worauf warten sie noch?«, fragte Sarene ärgerlich. »Warum lässt Telrii sich nicht
einfach bekehren?«
»Da ist sich niemand so sicher, Mylady.«
Sarene runzelte die Stirn. Sie konnte sich das in die Länge gezogene Schauspiel
nicht erklären. Es war allseits bekannt, dass Telrii derethische Predigten besucht hatte,
und es gab keinen Grund, weshalb er immer noch den konservativen korathischen
Gläubigen mimen sollte. »Keine weiteren Neuigkeiten bezüglich dieser
Bekanntmachung, die der Gyorn angeblich vorbereitet hat?«
»Nein, Mylady«, meinte Ashe zu ihrer Zufriedenheit. Es gingen Gerüchte um, dass
Hrathen ein Gesetz entworfen hatte, das ganz Arelon vor die Wahl stellen würde, zum
Shu-Dereth überzutreten oder ins Gefängnis geworfen zu werden. Obwohl die Kaufleute sich während des Frühlingsmarktes nichts anmerken ließen, war die ganze
Stadt nervös und angespannt.
Es fiel Sarene nicht schwer, sich die Zukunft auszumalen. Bald würde der Wyrn eine
Flotte Priester nach Arelon schicken, dicht gefolgt von seinen Kriegermönchen. Telrii,
würde erst Sympathisant gewesen sein und dann Konvertit und letzten indes
bedeutungslos. In ein paar Jahren wäre Arelon nicht nur ein Land voller derethischer
Gläubigern, sondern eine Erweite rung von Fjorden selbst. Sobald Hrathens Gesetz
einmal verabschiedet war, würden die Priester keine Zeit verschwenden, sondern
Sarene und die anderen auf der Stelle verhaften. Man würde sie wegsperren oder,
wahrscheinlicher noch, hinrichten. Danach gäbe es niemanden mehr, der Fjorden
bekämpfte. Die gesamte zivilisierte Welt würde dem Wyrn gehören - die
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