Elantris
Raoden so diplomatisch wie möglich fort. »Elantrier werden bloß in ihrem arelischen Leichengewand in die Stadt geworfen. Ein Mann, der schustern kann, wäre in der Tat äußerst wertvoll.«
»Was für Schuhe?«, wollte Mareshe wissen.
»lederne«, sagte Raoden. »Keine leichte Aufgabe, Mareshe. Ihr müsst nämlich wissen, Elantrier haben nicht den Luxus, sich einen Irrtum leisten zu können. Wenn das erste Schuhpaar nicht passt, bekommt man Blasen. Blasen, die niemals verheilen werden.«
»Was meint Ihr damit, niemals verheilen?«, fragte Mareshe unbehaglich.
»Wir sind jetzt Elantrier, Mareshe«, erklärte Raoden. »Unsere Wunden heilen nicht mehr.«
»Heilen nicht mehr ...?«
»Möchtet Ihr ein Beispiel gezeigt bekommen, Kunsthandwerker?«, bot Galladon hilfsbereit an. »Das ließe sich ohne Weiteres arrangieren. Kolo?«
Mareshe erbleichte. Er blickte wieder zu Raoden. »Er scheint mich nicht sonderlich zu mögen«, sagte er leise.
»Unsinn«, widersprach Raoden und legte Mareshe einen Arm um die Schulter, um ihn von Galladons grinsendem Gesicht wegzudrehen. »Auf diese Weise zeigt er seine Zuneigung.«
»Wenn Ihr es sagt, Meister ...«
Raoden zögerte. »Nennt mich einfach Lebensgeist«, sagte er schließlich. Es war die Übersetzung des Aons Rao.
»Meister Lebensgeist.« Mareshe verengte die Augen zu Schlitzen. »Irgendwie kommt Ihr mir bekannt vor.«
»Ihr habt mich noch nie zuvor gesehen. Was nun die Schuhe betrifft...«
»Sie müssen wie angegossen passen, ohne das geringste Drücken oder Reiben?«, fragte Mareshe.
»Ich weiß, dass das schwierig klingt. Wenn es Eure Fähigkeiten übersteigen sollte ...«
»Nichts übersteigt meine Fähigkeiten«, sagte Mareshe. »Ich werde es tun, Meister Lebensgeist.«
»Ausgezeichnet.«
»Sie sind immer noch da«, erklang Galladons Stimme von hinten.
Raoden drehte sich um und musterte den hünenhaften Dula. »Na und? Es ist ja nicht so, als hätten wir etwas Dringendes zu erledigen. Im Grunde ist es sehr nett hier oben. Du solltest dich einfach zurücklehnen und es genießen.«
Aus den Wolken über ihnen erklang ein unheilvolles Donnern, und Raoden konnte einen Tropfen spüren, der auf seinen Kopf platschte.
»Großartig«, murrte Galladon. »In vollen Zügen werde ich das hier genießen.«
Kapitel 8
Sarene entschied sich gegen das Angebot ihres Onkels, bei ihm zu wohnen. So verlockend die Vorstellung auch sein mochte, bei seiner Familie einzuziehen, hatte Sarene doch Angst, auf diese Weise möglicherweise ihre Stellung im Palast einzubüßen. Der Hof stellte eine Fundgrube von Informationen dar, und die arelischen Adeligen waren ein Quell von Gerüchten und Intrigen. Wenn sie gegen Hrathen zu Felde ziehen wollte, musste sie unbedingt auf dem neuesten Stand bleiben.
Deshalb beschaffte sich Sarene am Tag nach ihrem Treffen mit Kiin Farben und eine Staffelei, die sie mitten in Iadons Thronsaal aufbaute.
»Was im Namen Domis treibst du da, Mädchen?«, entfuhr es dem König, als er am Morgen den Saal betrat, eine Gruppe ängstlicher Begleiter an seiner Seite.
Sarene blickte mit gespielter Überraschung von ihrer Leinwand auf. »Ich male, Vater«, sagte sie und hob erklärend den Pinsel in die Höhe, wobei etliche rote Farbkleckse im Gesicht des
Verteidigungsministers landeten.
Iadon seufzte. »Dass du malst, sehe ich selbst. Was ich damit sagen wollte, ist, warum tust du es ausgerechnet hier?«
»Oh«, erwiderte Sarene unschuldig. »Ich male deine Gemälde, Vater. Ich finde sie so schön!«
»Du malst meine ...?«, fragte Iadon mit verblüffter Miene. »Aber ...«
Sarene drehte dem König mit einem stolzen Lächeln die Leinwand zu und zeigte ihm ein Bild, auf dem sich nur mit Mühe und Not ein paar Blumen erkennen ließen.
»Ach, um Domis willen!«, brüllte Iadon. »Mal von mir aus, Mädchen, wenn es unbedingt sein muss. Aber doch nicht mitten in meinem Thronsaal!«
Sarene riss die Augen auf, blinzelte ein paarmal und zog dann die Staffelei und ihren Stuhl in die Nähe einer Säule an der Seite des Saales. Dort setzte sie sich und malte weiter.
Iadon stöhnte. »Ich meinte ... Ach, Domi möge dich holen! Du bist es nicht wert, dass ich mich deinetwegen aufrege.« Mit diesen Worten drehte der König sich um und stolzierte auf seinen Thron zu, wo er seinem Sekretär befahl, den ersten Punkt auf der Tagesordnung anzukündigen: einen Streit zweier Angehöriger des niederen Adels bezüglich einiger Besitztümer.
Ashe schwebte zu Sarenes Leinwand herab und sagte leise: »Ich
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