Elantris
hast also einfach nicht fernbleiben können. Die Anziehungskraft von Kiins magischer Küche war zu viel für dich, was?«
»Nein, Papa, sie ist bloß hungrig«, verkündete Kaise.
»Ach so, das ist alles. Na dann setz dich, Sarene, in ein paar Minuten gibt es Mittagessen.«
Die Mahlzeit ging ähnlich vonstatten wie das Abendessen tags zuvor. Kaise beschwerte sich über das langsame Tempo, Daorn versuchte sich reifer zu benehmen als seine Schwester, und Lukel neckte die beiden gnadenlos - was letzten Endes die feierliche Pflicht eines jeden älteren Bruders war. Adien erschien erst spät bei Tisch und wirkte zerstreut. Leise murmelte er ein paar Zahlen vor sich hin. Kiin brachte etliche Servierplatten mit dampfenden Speisen aus der Küche. Er entschuldigte sich für die Abwesenheit seiner Frau, die bereits verabredet gewesen sei.
Das Beisammensein war reizend - gutes Essen und angenehme Unterhaltung; jedenfalls bis Lukel sich berufen fühlte, der Familie von Sarenes Maltalent zu erzählen.
»Sie war mit einer Art Neuer Abstrakter Kunst beschäftigt«, erklärte ihr Cousin, ohne eine Miene zu verziehen.
»Tatsächlich?«, fragte Kiin.
»Ja«, sagte Lukel. »Obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, was sie ihrem Publikum damit sagen wollte, ein Blumenbeet mit einem braunen Klecks darzustellen, der nur ganz entfernt an ein Pferd erinnerte.«
Sarene errötete unter dem Gelächter des ganzen Tisches. Doch es war noch nicht vorbei, denn Ashe wählte just diesen Augenblick, um sie ebenfalls zu verraten.
»Sie nennt es die Schule kreativen Fehlgeleitetseins«, erklärte das Seon feierlich mit seiner tiefen, erhabenen Stimme. »Ich glaube, es gefällt der Prinzessin, Kunst zu erschaffen, bei der andere nicht den leisesten Schimmer haben, was sie darstellen soll.«
Das war zu viel für Kiin, der vor Lachen beinahe vom Stuhl fiel. Kurz darauf war Sarenes Folter jedoch vorüber, als das Gespräch in eine etwas andere, für die Prinzessin sehr interessante Richtung verlief.
»Es gibt gar keine Schule kreativen Fehlgeleitetseins«, setzte Kaise ihnen auseinander. »Nicht?«, fragte ihr Vater.
»Nein. Es gibt die impressionistische Schule, die Neue Schule gegenständlicher Kunst, die abstrakt abgeleitete Schule und die Schule künstlerischer Erneuerung. Das ist alles.«
»Ach, tatsächlich?«, erkundigte Lukel sich amüsiert.
»Ja«, erklärte Kaise. »Es gab einmal die realistische Bewegung, aber das ist im Grunde das Gleiche wie die Neue Schule gegenständlicher Kunst. Sie haben bloß den Namen geändert, um bedeutungsvoller zu klingen.«
»Hör auf, vor der Prinzessin anzugeben«, murmelte Daorn.
»Ich gebe nicht an«, versetzte Kaise eingeschnappt. »Ich bin eben gebildet.«
»Du gibst sehr wohl an«, sagte Daorn. »Außerdem ist die Schule der Realisten überhaupt nicht das Gleiche wie die Neue Schule gegenständlicher Kunst.«
»Daorn, hör auf, deine Schwester anzumeckern«, befahl Kiin. »Kaise, hör auf anzugeben.«
Kaise blickte finster drein, lehnte sich dann mit beleidigter Miene zurück und fing an, unverständlich vor sich hin zu murmeln.
»Was tut sie da?«, wollte Sarene verwirrt wissen.
»Ach, sie beschimpft uns auf Jindoesisch«, sagte Daorn unbeeindruckt. »Das tut sie immer, wenn sie bei einem Streit den Kürzeren zieht.«
»Sie glaubt, sie könne das Gesicht wahren, indem sie andere Sprachen spricht«, sagte Lukel. »Als wenn das bewiese, dass sie intelligenter als der Rest der Welt ist.«
An dieser Stelle veränderte sich die Wortflut, die aus den Lippen des kleinen blonden Mädchens hervorsprudelte. Überrascht stellte Sarene fest, dass Kaise nun etwas auf Fjordellisch grummelte. Doch Kaise war noch nicht fertig: Sie beendete ihre Schmährede mit einer kurzen, bissigen Anschuldigung in einer Sprache, die nach Duladenisch klang.
»Wie viele Sprachen spricht sie?«, erkundigte sich Sarene.
»Ach, vier oder fünf, wenn sie nicht noch eine neue gelernt hat, seit ich das letzte Mal nachgefragt habe«, sagte Lukel. »Allerdings wird sie bald aufhören müssen. Svordische Wissenschaftler behaupten, das menschliche Gehirn könne nur sechs Sprachen beherrschen, bevor es anfängt, sie durcheinander zu bringen.«
»Es ist das Lebensziel unserer kleinen Kaise, ihnen das Gegenteil zu beweisen«, erklärte Kiin mit seiner tiefen, kratzigen Stimme. »Das und außerdem wirklich alles an Nahrung zu essen, was sich in ganz Arelon finden lässt.«
Kaise reckte das Kinn in Richtung ihres Vaters und rümpfte abweisend die Nase, dann
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