Elben Drachen Schatten
sind!“
„Wisst Ihr, was man sich über unseren Feind, den grausamen Ahyr erzählt, werter Ovamnus? Er soll mit einem von sechs zweiköpfigen Löwen gezogenen Wagen fahren!“, sagte Thiro.
Ovamnus nickte.
„Wir haben einen schrecklichen Gegner. Aber als treue Diener Taykors brauchen wir uns nicht zu fürchten.“
Thiros Züge verdüsterten sich jetzt etwas.
„Ich habe vor Beginn unserer Reise einen Astrologen befragt, was die Zukunft bringen würde. Es war Raschus, der berühmteste Astrologe und Seher ganz Gunlands!“
„Ihr seid ein Frevler, Thiro! Ihr solltet auf Taykor vertrauen“, lächelte Ovamnus.
„Ich vertraue Raschus und seinen Sternen - was diese Dinge betrifft - mehr als Taykor. Die Götter vermögen viel, aber nur die wenigsten von ihnen sind in der Lage, die Zukunft vorauszusehen.“
„Was hat Raschus gesagt?“
„Er sagte, die Zukunft läge hinter einer Wand aus Rauch, Blut und Leichen.“
„Sehr interessant. Wessen Leichen waren das? Hat er sie erkennen können?“
„Nein.“
„Nun, ich würde den Worten eures Astrologen und Sehers nicht allzu viel Bedeutung beimessen.“
Thiro zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll.“
In zunehmendem Maße wurde das Gelände hügeliger. Langsam ging die flache Ebene in Bergland über.
„Herr, so seht dort!“, rief Saphax, Thiros Diener und deutete in die Ferne. „Seht dort! Die Holzkreuze auf der Anhöhe!“ Die Kreuze lagen auf ihrem Weg und so näherten sie sich ihnen zusehends.
„Menschen hängen an ihnen“, stellte Thiro plötzlich etwas verwirrt fest.
„Ich kenne diese Hinrichtungsart«, erklärte Ovamnus. „Man nagelt den Delinquenten mit Händen und Füßen an ein Holzkreuz und richtet es dann auf. Manchmal dauert es Stunden, oft aber auch Tage, bis die Verurteilten sterben.“
„Eine grausame Art und Weise, Menschen vom Leben zum Tode zu befördern“, brummte Thiro.
„Seht, Herr!“, rief Saphax. „Es sind mindestens fünfzig Kreuze!“
„Seltsam“, brummte Thiro, „dass man so viele Menschen auf einmal gekreuzigt hat!“
„Oh, ich glaube, Ihr kennt die Bewohner dieser Gegend nicht zu Genüge, Herr Thiro“, entgegnete Ovamnus, wobei er sich über seinen langen Bart strich. „Ja, hier ist man schnell mit einem Todesurteil bei der Hand!“
Als sie den Hügel mit den Kreuzen erreichten, sahen sie, dass einige der Gekreuzigten noch am Leben waren.
Ihr Stöhnen ließ die beiden Könige und ihr Gefolge erschauern.
„Lasst uns die Überlebenden von den Kreuzen nehmen!“, schlug Thiro vor.
„Davor muss ich Euch ausdrücklich warnen, mein Freund!“, entgegnete Ovamnus. „Wir dürfen nicht in die Angelegenheiten dieses Landes hineinpfuschen.“
„Wir müssen diesen armen Menschen helfen!“, beharrte Thiro.
Er wandte sich an Pan-Ro, den Fahnenträger.
„Gib das Signal zum Halten! Wir machen kurze Rast!“, zuckte mit den Schultern.
„Ihr habt die Verantwortung für alles, was jetzt möglicherweise geschieht!“, knurrte er.
Der riesige Treck, den die vereinten Heere der beiden Könige bildeten, kam zum Stehen.
Thiro wies einige seiner Soldaten an, die Überlebenden von den Kreuzen zu nehmen.
„Vielleicht solltet Ihr diese Leute fragen, weshalb man sie einem so schrecklichen Tod überantwortete“, schlug Saphax vor.
Nickend stimmte König Thiro seinem Diener zu.
„Ja, du hast Recht. Vielleicht sollte ich sie fragen ...“
Er stieg vom Pferd und ging gemessenen Schrittes zu einem gerade vom Kreuz Genommenen hin. Es handelte sich um einen etwa vierzigjährigen Mann, dessen Gesicht von Qual und Schmerz furchtbar gezeichnet war.
„Wasser ...“, murmelte er.
„Gebt ihm Wasser!“, fuhr Thiro seine Soldaten an. Man hielt dem Mann eine Feldflasche hin. Er schlürfte gierig das Wasser.
„Warum hat man dich verurteilt?“, fragte Thiro jetzt.
Die Augen des geschundenen Mannes blitzten und seine Stimme zitterte, drohte manchmal gänzlich zu versagen, als er antwortete: „Warum ich verurteilt worden bin? Wir alle waren nicht bereit, uns die Seele stehlen zu lassen, wir wollten nicht zu willenlosen Werkzeugen von irgendjemandem werden. Deshalb, lieber Freund, sind wir hier alle miteinander aufgehängt worden.“
Ovamnus war hinzugetreten und runzelte die Stirn.
„Man wollte dir die Seele stehlen? Guter Mann, wer sollte Macht genug besitzen, solches zu vollbringen? Man kann einen Menschen töten, man kann ihn foltern, man kann ihm seine Besitztümer
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