Elben Drachen Schatten
klare, kühle Luft in seine Lungen. »Ich weiß Eure Fürsorge sehr zu schätzen, werte Nathranwen, doch da auch Eure Kunst mir mein Augenlicht nicht zurückgeben kann, wendet Eure Aufmerksamkeit besser jenen zu, denen Ihr helfen könnt.«
Die Heilerin war überrascht darüber, dass Rhiagon sie sofort erkannt hatte. »Seid gegrüßt, werter Rhiagon«, sagte sie. »In der Tat hat mich mein Heilerkollege Eónatorn vor seinem Aufbruch mit des Königs Truppen darum gebeten, nach Euch zu sehen, denn er äußerte im Gespräch mit mir die Befürchtung, dass Ihr Euch dem Lebensüberdruss hingeben könntet.«
»War das nicht eine Krankheit, die während der großen Seereise grassierte?«
»Ja, und noch einige Zeit danach. Es war schwer, ihrer Herr zu werden und den Elben genug Lebensmut zu geben, dass sie sich den Herausforderungen stellen konnten, die nach der Ankunft im Zwischenland auf sie zukamen. Allerdings sind in letzter Zeit wieder häufiger Fälle dieser Seuche aufgetreten, und zwar in einem Maße, dass es die Heilerzunft durchaus zur Sorge veranlasst.«
»Ein kurzer Weg nach Eldrana – das hat durchaus etwas Verlockendes.«
»Es tut mir leid, dass Euch meine Zunft im Moment noch nicht zu helfen vermag, aber es ist nicht so, dass das Heilerwissen für alle Zeiten festgeschrieben wäre. Wir suchen ständig nach neuen Methoden, neuen Heilzaubern und bisher unbekannten Substanzen mit heilender oder zumindest lindernder Wirkung.«
»Und Ihr meint, dass es eines Tages auch für mich Hoffnung geben könnte?«
»Das ist nicht ausgeschlossen.«
»Wie lange wird es bis dahin dauern? Ein Jahrtausend?«
»In der Alten Zeit in Athranor konnte ein Elb durchaus solange auf die Erfüllung eines Herzenswunsches warten«, erwiderte die Heilerin.
»Dann müssen sich die Zeiten in dieser Hinsicht wohl geändert haben. Oder die See- und Elbiana-Geborenen unter uns sind nicht aus demselben Elfenbein geschnitzt wie die Elben der Alten Zeit.« Rhiagons Züge verdüsterten sich. »Im Übrigen habt Ihr leichtes Reden. Ihr könnt jeden Morgen das Licht des Tages begrüßen.«
»Das ist mir bewusst. Und doch müsst Ihr Euch wohl oder übel mit der Situation arrangieren, wie sie nun einmal ist, solange es noch keine Möglichkeit gibt, dass Ihr voll und ganz gesundet. Man sagt, dass ein fehlender Sinn durch die zunehmende Sensibilität anderer Wahrnehmungen zumindest teilweise ausgeglichen werden kann. Und gerade eben habt Ihr mich sofort erkannt, und so nehme ich an, dass genau dies bei Euch schon eingesetzt hat.«
»Ich will mich in dieser Hinsicht nicht beklagen«, erwiderte Rhiagon. »Ich höre Euren Atem, Euren Herzschlag und das Rascheln Eures Gewandes. Und an Eure typische Art zu gehen habe ich Euch bereits erkannt, als Ihr die Treppe emporkamt. Aber heißt das, dass es überflüssig wäre, Euch zu sehen? In der Burg kenne ich mittlerweile jeden Winkel, und selbst in der Stadt Elbenhaven vermag ich mich zurechtzufinden. Doch ihre Mauern zu verlassen, würde ich zurzeit nicht wagen.«
»Ihr werdet diesen Pfad weiterbeschreiten, werter Rhiagon.«
»Möglich. Doch sollte ich mich anders entscheiden, dann ist das mein freier Wille«, entgegnete Rhiagon hart, »und es steht niemandem zu, dies als Krankheit zu bewerten, werte Heilerin.«
»Wenn ich Euch zu nahe trat«, sagte Nathranwen eingeschüchtert, »geschah dies nur aus Fürsorge.«
»Das ist mir bewusst. Aber lasst Eure Fürsorge besser der Königin zukommen. Sie hat sie gewiss nötiger als ich.«
Nathranwen hob verwundet die Augenbrauen. »Wie kommt Ihr darauf, werter Hauptmann?«
»Nennt mich nicht mehr Hauptmann. Das bin ich nur noch dem Rang nach. Ich bin jetzt Rhiagon der Blinde, auch wenn mir gegenüber niemand diese Bezeichnung zu benutzen wagt. Aber in ihren Gedanken bin ich es, deswegen habe ich auch nichts dagegen, würde man mich so nennen.« Er streckte die Hand Richtung Norden aus. »Rhiagon der Hauptmann der Einhandgarde wäre jetzt mit des Königs Mannen auf dem Schiff, um die Steine des Magischen Feuers von Naranduin zu holen. Aber Rhiagon der Blinde kann Elbenhaven nicht verlassen und ist ein Gefangener der Dunkelheit.« Abwehrend hob er die Hände, so als befürchtete er, die Heilerin wollte ihm erneut widersprechen. Dann sagte er: »Was die Königin betrifft, so nehme ich an, dass sie große Sorgen hat.«
Nathranwen runzelte verwirrt die Stirn. War das Gehör des Erblindeten etwa schon in der kurzen Zeit so empfindlich geworden, dass er Gespräche
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