Elbenbiss /
zum ersten Mal überhaupt etwas essen sah – und auch zum letzten Mal.
Einen Augenblick später war er verschwunden. Ein mickriges Häufchen Asche war alles, was von ihm übrig war.
Mein Herz setzte eine gefühlte Ewigkeit aus. Entsetzt öffnete ich den Mund, brachte aber keinen Ton heraus. Ich starrte auf das Aschehäufchen, dann zu Rose. Sie kam bereits auf mich zu und legte ihre warmen, zarten Hände auf meine Wangen, als ob es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre. Ich spürte, wie sich der Aufruhr, der in meinem Inneren tobte und Frage um Frage auf meine Zunge spülte, auf wohltuende Weise beruhigte. Rose sagte nichts. Trotzdem hörte ich ihre Stimme in meinem Kopf, die mir alles erklärte:
Wladimir wollte sterben, und diesen Herzenswunsch hat ihm sein Silimantia erfüllt.
Nachdem ich das Unbegreifliche begriffen hatte, wurde mir im nächsten Moment mit aller Macht bewusst, was ich so lange nicht hatte wahrhaben wollen. Elanor war wirklich eine Elbenfrau und Wolf ein Werwolf. Der gute Wladimir war ein Vampir gewesen.
Bis heute weiß ich nicht, wie ich in jener Nacht nach Hause gekommen bin. Jedenfalls wachte ich gegen Mittag in meinem Bett auf. Einen herrlichen Moment lang hielt ich die ganze Geschichte für einen abstrusen Traum. Doch dann hörte ich glockenhelles Lachen und Gesprächsfetzen aus der Küche, und mir wurde siedend heiß. Hektisch wühlte ich mich aus dem Laken und tappte barfuß, in T-Shirt und Boxershorts in die Küche.
Elanor machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Sie trug ihre glatten goldenen Haare offen, und ihre spitzen Ohren guckten neckisch daraus hervor. Rose saß am Küchentisch, auf demselben Stuhl, auf dem der Professor mir vor achtundvierzig Stunden diesen irren Auftrag gegeben hatte. Manwe und Varda lagen auf ihrem Schoß und ließen sich genüsslich von ihr kraulen. Beide Frauen begrüßten mich gutgelaunt und schauten mich erwartungsvoll an. Was wollten sie von mir?
Ich flüchtete in den Korridor. Da ging die Badezimmertür auf und ein grinsender, frisch rasierter und geduschter Wolf stand, nur mit einem Handtuch um die Hüften, vor mir.
Eilig quetschte ich mich an ihm vorbei ins Bad, knallte die Tür zu und ließ mich erschöpft dagegenfallen. Ich hoffte inständig, dass mein Silimantia hielt, was es versprochen hatte. Wenn das so weiterging, würde ich es brauchen.
Über Tonja Züllig
Tonja Züllig, geboren 1970 in der Nähe von Zürich, hat Geschichte und Russisch studiert. Nach der Geburt ihrer Zwillingssöhne
schrieb sie jahrelang Artikel für ein Zwillingselternmagazin, bevor sie sich belletristischen Texten zuwandte. Sie lebt mit
ihrem Mann und fünf Kindern in der Nähe von Zürich.
Über dieses Buch
Ein Vampir, der kein Blut sehen kann, eine nymphomanische Elbe und ein Werwolf mit Angst vor Katzen auf Verbrecherjagd … Der
Psychiater Rafael Petermann hat ein Problem. Seine Kollegin Rose ist spurlos verschwunden, und drei Patienten, die bei ihr
eine letzte Sitzung im therapeutischen Teamkochen absolvieren sollten, wollen sie unbedingt finden. Michael Mortenson, ein
unter einer Schreibblockade leidender Fantasyautor und Freund Petermanns, scheint die geeignete Person zu sein, um den drei
psychisch Angeschlagenen bei der Suche nach Rose behilflich zu sein und sie gleichzeitig im Auge zu behalten. Eine aufregende
Verfolgungsjagd beginnt …
Impressum
© 2011 neobooks.com
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Alisha Bionda
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Covermotiv: © FinePic ® , München
www.neobooks.com
ISBN 978-3-426-43015-6
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