Elbenkinder - Die ganze Saga (1-7)
Sarwen vom Nebelberg herunterzuholen, würde dieses Unternehmen wohl zwangsläufig daran scheitern, dass sich dieser besondere Berg bisher als unbezwingbar erwiesen hatte.
„Andir vermochte durch das Zwischenreich zu reisen“, sagte Daron und lächelte verhalten. „Weißt du noch, er hat uns sogar mitgenommen. Im Nu waren wir an einem anderen Ort, Tausende von Meilen entfernt.“
„Du denkst daran, das mal auf eigene Faust zu probieren?“, fragte das Elbenmädchen.
Er zuckte mit den Schultern. „Bevor wir hier versauern!“
„Wir sind leider nicht Andir, und noch haben wir auch nicht annähernd seine Fähigkeiten und seine Erfahrung. Wir verfügen vielleicht über die gleiche Begabung und möglicherweise sogar über mehr magische Kraft als er, aber uns fehlt einfach das Wissen, sie richtig einzusetzen.“
„Ach, jetzt hast du plötzlich Zweifel hinsichtlich deiner magischen Befähigung?“, motzte der Elbenjunge. „Kommt reichlich spät, würde ich sagen.“
„Tut mir leid, ich weiß, es ist meine Schuld, dass wir hier sitzen“, sagte Sarwen leise, und es klang recht traurig. „Aber ändern kann ich daran auch nichts mehr.“
Er seufzte. „War nicht so gemeint.“
„Doch!“, widersprach Sarwen in Gedanken. „Genau so hast du es gemeint – und eigentlich solltest du wissen, dass du das nicht vor mir verbergen kannst!“
Danach wechselten die beiden Geschwister kein Wort mehr miteinander, weder ein laut ausgesprochenes, noch über geistigen Kontakt. Sarwen legte sich hin und schlief etwas, um wieder zu Kräften zu kommen, aber Daron fand keine Ruhe. Er ging nervös auf und ab.
Der Mond schimmerte als verwaschener Fleck durch die Nebelschwaden. Daron grübelte und zerbrach sich den Kopf darüber, wie sich die magischen Kräfte dieses Ortes vielleicht doch noch irgendwie dazu nutzen ließen, von hier fortzukommen.
Da durchdrang plötzlich ein lauter, schriller Schrei die Dunkelheit.
Es war Rarax.
Daron wollte ihn sofort mit einem scharfen Gedankenbefehl zu sich rufen, doch dann entschied er sich dagegen. Stattdessen wartete er einfach ab. Begründen konnte er sein Handeln das nicht. Er folgte einfach einer plötzlichen Eingebung.
Auf einmal waren dunkle Schwingen im Nebel zu sehen. Das Riesenfledertier flog auf die Gipfelregion des Nebelbergs zu und verdeckte dabei für kurze Zeit sogar den verwaschenen Lichtfleck des Mondes.
Dann landete Rarax ganz in der Nähe. Seine Rufe klangen weder wild noch ängstlich. Er faltete seine lederhäutigen Flügel zusammen, und halb gehend, halb kriechend kam das finstere Wesen auf Daron zu. Es war für das Leben am Boden einfach nicht geschaffen und konnte sich dort nur sehr schwerfällig fortbewegen.
Rarax war freiwillig zurückgekehrt, erkannte Daron. Das war hundertmal mehr wert, als wenn er einfach nur dem Gedankenbefehl des Elbenjungen gehorcht hätte. Ein verhaltenes Lächeln erschien auf Darons Gesicht.
Ein fast unterwürfig klingender Laut entrang sich der Kehle des Riesenfledertiers. Es kauerte mit gesenktem Kopf da, eine Geste, die klarmachte, dass es Daron wieder als seinen Herrn akzeptierte.
Daron weckte Sarwen mittels eines Gedankens. Erst beim zweiten Versuch reagierte sie darauf. Dann bestiegen sie das Riesenfledertier und flogen damit hinaus in die Nacht. Auf dem Nebelberg hielt sie nichts mehr, und für Rarax war es trotz der Dunkelheit kein Problem, zurück nach Elbenhaven zu finden.
Sarwen klammerte sich am Fell des Riesenfledertiers fest und wirkte vollkommen erschöpft.
„Du wirst unser Flugbiest wohl diesmal allein lenken müssen“, empfing Daron ihren besorgniserregend schwachen Gedanken. Normalerweise nahm er sie selbst dann noch klarer und deutlicher wahr, wenn sie Meilen entfernt war.
„Sobald wir wieder in Elbenhaven sind, sollte Nathranwen mal nach dir sehen“, meinte er. „Ein kräftigender Heiltrunk kann dir in deiner momentanen Verfassung bestimmt nicht schaden, oder?“
Sarwen antwortete darauf nicht.
Ihre Gedanken blieben stumm, und Daron gab Rarax den Befehl, schneller zu fliegen.
Kapitel 4
Rückkehr an den Königshof
Eine unerklärliche Unruhe hatte Keandir, den König der Elben, in dieser Nacht erfasst, und er konnte keinen Schlaf finden. So stand er an den Zinnen des Südturms von Burg Elbenhaven und blickte hinaus in die Ferne.
Der Mond stand am Himmel, und das Rauschen des nahen Meeres war zu hören. Wellen rollten gegen das Ufer in der Bucht von Elbenhaven. Sie waren im Verlauf des letzten Tages
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