Elbenschswert
nahm auch nur Notiz von ihm. Aller Aufmerksamkeit war auf den errichteten
Scheiterhaufen, auf die Treppe zum Haupthaus und die
offen stehende Tür an deren oberen Ende gerichtet.
Es verging eine geraume Weile, aber irgendwann legte
sich der Sturm von Gefühlen, der hinter Lancelots Stirn
tobte. Noch zitterten seine Hände, aber er begann sich zu
fragen, was er nun tun sollte. Sein erster Impuls war, hinauszustürmen und Gwinneth mit Gewalt zu befreien, aber
das wäre natürlich der reine Selbstmord. Nicht einmal mit
dem Elbenschwert und seiner Zauberrüstung wäre er mehr
als dreißig Rittern und der vielleicht fünffachen Anzahl
von Kriegern und Soldaten gewachsen, von Artus gar
nicht zu reden. Darüber hinaus war er nicht hierher gekommen, um ein Blutbad anzurichten.
Was aber sollte er tun?
Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Unter der
offen stehenden Tür das Palas erschienen drei ganz in
Weiß, Blau und Silber gekleidete Gestalten. Zwei von
ihnen erkannte er sofort: Artus und Mandrake, der links
neben dem König ging und immer noch den Arm in der
Schlinge trug, bei dem dritten Ritter war er nicht sicher,
aber es spielte auch keine Rolle. Die drei Männer schritten
langsam die Treppe herunter und die Reihen der Ritter und
Soldaten teilten sich vor ihnen, um ihnen respektvoll Platz
zu machen. Irgendwo fing eine Trommel zu schlagen an,
ein langsamer und bedrohlicher Rhythmus. Lancelots Gedanken begannen sich zu überschlagen. Für einen Moment
drohte er in Panik zu geraten, und erst jetzt, als es eindeutig zu spät war, gestand er sich ein, dass er nicht einmal
die Idee eines Planes gehabt hatte, als er sich auf den Weg
hierher machte. Niemand blickte in seine Richtung. Niemand würde in seine Richtung blicken, solange das grausame Schauspiel andauerte, und er befand sich weniger als
dreißig Schritte von dem Scheiterhaufen entfernt.
Lancelot wurde sehr schmerzhaft klar, dass er wertvolle
Zeit verloren hatte. Er hatte nicht die mindeste Chance,
Gwinneth zu befreien, wenn sie erst einmal hier draußen
auf dem Hof oder gar auf der Plattform in seiner Mitte
stand. Er musste irgendwie ins Haupthaus gelangen und
versuchen sie dort zu befreien.
Aber wie? Seine Rüstung und der zerfetzte und blutbesudelte Mantel würden ihn verraten, sobald er sein Versteck verließ.
Lancelots Blick tastete aufmerksam über den Hof. Ihm
blieb nur eine einzige Möglichkeit: Wenn es ihm gelang,
ungesehen an dem offen stehenden Tor vorbeizukommen,
dann konnte er den Pferdestall erreichen und von diesem
aus gab es eine ganze Anzahl von Türen und Verbindungsgängen, über die er ungesehen bis in den Palas
kommen würde. Aber dieser Weg würde Zeit in Anspruch
nehmen; Zeit, die er vermutlich nicht hatte.
Dennoch: Sie musste einfach reichen! Er wartete, bis Artus und seine beiden Begleiter in der Menge der Ritter
untergetaucht waren, dann raffte er all seinen Mut zusammen, trat auf den Hof hinaus und ging hoch aufgerichtet
und so langsam, wie es gerade noch möglich war ohne
aufzufallen, auf das Tor zu und daran vorbei. Nur einer der
Wächter, die dort Aufstellung genommen hatten, warf
einen kurzen Blick in seine Richtung, ehe er sich wieder
auf das Schauspiel auf dem Hof konzentrierte, und Lancelot vermied es, immer wieder nervös in dieselbe Richtung
zu blicken, sondern steuerte den Pferdestall an. Ohne angesprochen oder aufgehalten zu werden, erreichte er ihn,
trat ein und schloss die Tür hinter sich.
Dunkelheit und der Geruch von frischem Stroh und
Dung und zahlreichen verschwitzten Pferdekörpern hüllten ihn ein. Er blieb einen Moment stehen, damit sich seine Augen an das noch schwächere Licht hier drinnen gewöhnen konnten, ging dann weiter und erstarrte wieder
mitten im Schritt, als der Trommelschlag draußen auf dem
Hof nun lauter wurde.
Hastig trat er an das geschlossene Tor und spähte durch
einen der schmalen Spalte zwischen den Brettern.
Es war zu spät. Er hatte zu viel Zeit verloren. Drüben auf
der anderen Seite des Hofes, unter derselben Tür, unter der
Artus gerade aufgetaucht war, war nun Gwinneth erschienen. Sie trug ein einfaches weißes Kleid, einen Mantel aus
weißem Fell und einen dichten Schleier, der ihr Gesicht
verhüllte. Zwei weitere Tafelritter gingen hinter ihr her,
offensichtlich als Wache gedacht, aber keiner von ihnen
hatte es gewagt, die Königin zu berühren oder ihr auch nur
näher als zwei Schritte zu kommen. Voll ungläubigem
Entsetzen sah Lancelot zu,
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