Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
zwischen den Zähnen der Kreatur. Daran führte kein Weg vorbei. Ihre einzige Chance zu überleben war, den Träger der Zähne aus dem Weg zu schaffen.
Mit dem letzten Wirbeln, mit dem sie den Höhepunkt ihres Fluges erreicht hatte, zog sie ihre beiden Pistolen … schnell genug, dass der Schwung das Wasser aus den Läufen schleuderte … und stürzte dem Ungeheuer kopfüber entgegen. Dabei feuerte sie, was das Zeug hielt. Die Mündungen bellten der Bestie so schnell gelbweißes Feuer und fast dreißig Hohlmantelgeschosse entgegen, dass sie zu glühen begannen.
Das Biest schrie auf und warf sich zur Seite – Svenya konnte sehen, dass eines seiner Augen zerfetzt war. Offenbar war die gute alte Ballistik in diesem Fall ein ganz probates Mittel gegen uralte Magie. Vielleicht traf das Gleiche auch auf ihren ganz normalen Stahldolch zu. Sie ließ die jetzt ohnehin ruinierten Pistolen fallen und riss ihn gerade noch rechtzeitig aus der Scheide, ehe sie auf der Flanke des seitlich wegtauchenden Monsters aufschlug. Wenn es ihr gelang, auch noch das andere Auge zu zerstören, hätte sie eine Chance, das Ufer zu erreichen. Doch ehe Svenya auch nur darüber nachdenken konnte, wie sie das Auge erreichen könnte, hatte bereits eines der Tentakel sie erwischt und schlang sich ihr um Bauch und Hals. Svenya schaffte es gerade noch, mit ihrer freien Linken die Klaue zu packen, ehe sie ihr das Gesicht zerreißen konnte, und setzte die Schneide des Dolchs unterhalb an, dort, wo das Fleisch weich war. Mit vollem Schwung ließ Svenya, während sie wieder unter Wasser gezogen wurde, die penibel geschärfte Klinge ihre Arbeit tun. Blut schoss in einer schwarzen Wolke hervor, und das Monster brüllte ein zweites Mal auf. Zugleich schleuderte es Svenya mit dem Tentakel seitlich von sich – unglücklicherweise wieder in Richtung Flussmitte.
Die Fluten bremsten die Wucht ein wenig – trotzdem prallte Svenya noch so fest gegen etwas Hartes hinter ihr, dass ihr kurz rot vor Augen wurde. Das Ungeheuer wendete und kam erneut auf sie zu – aus der einen Augenhöhle und vom jetzt klauenlosen Ende des einen Tentakels blutend. Da merkte Svenya, dass sie die abgeschnittene Klaue in ihrer Linken hatte. Doch was nutzte ihr das, jetzt, da das Monster wieder von vorne auf sie zukam und sicher kein zweites Mal auf den gleichen Trick hereinfallen würde?
Da entdeckte sie, wogegen sie eben mit dem Rücken geprallt war: das rostige Wrack eines Autos. Ein Trabi! Ein Relikt aus einer Zeit, in der das Land durch eine Mauer geteilt war. Durch eine Mauer und grundverschiedene Ideologien. Eine Zeit, von der Svenya, die lange nach dem Fall der Mauer geboren worden war, nur aus der Schule wusste.
Sie nahm die Klaue und schlug damit die Scheibe der Beifahrertür ein. Das entstandene Loch war gerade groß genug, dass sie in das Wageninnere schlüpfen konnte – im letzten Moment. Denn schon im nächsten Augenblick rammte das Monster das Wrack mit seiner riesigen Schnauze. Svenya wurde auf die andere Seite geschleudert und krachte mit dem Gesicht gegen einen Holm. Nur ihr Panzer bewahrte sie davor, sich dabei das Genick zu brechen.
Mit unglaublicher Wut stieß das Biest immer und immer wieder gegen den Wagen – bestimmt ein Dutzend Male –, und Svenya dankte den Göttern dafür, dass der Trabi so verdammt robust gebaut war. Das Auto überschlug sich einige Male im Schlamm, und das Wasser wurde so trübe, dass sie kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. Das Ungetüm kreischte voller Wut und versuchte, das Wrack zu zerbeißen. Doch auch wenn es ein kleiner Wagen war, war er doch gerade groß genug, dass die Spannweite des Mauls nicht ausreichte, ihn richtig zu fassen.
Sekunden später schoss ein Tentakel durch das zerbrochene Fenster und schnappte nach Svenyas Fußgelenk. Es packte sie und wollte sie nach draußen zerren, aber Svenya hieb mit dem Dolch und der abgeschnittenen Klaue so lange verzweifelt auf das Fleisch ein, bis das Monster das zerfetzte Tentakel wieder nach draußen zog. Es schwamm eine Dreihundertsechzig-Grad-Kurve und stoppte so neben dem Wrack, dass es mit seinem verbleibenden gesunden Auge hineinsehen konnte – dabei aber sorgfältig darauf bedacht, dass der Abstand zu Svenyas Händen und Waffen gerade groß genug war.
Svenya las in diesem Blick allen Hass dieser Welt. Was immer es sein mochte, ihr Tod schien dem Monster ein ganz persönliches Anliegen zu sein. Dieser Hass war zu groß für jemanden, der nur im Auftrag
Weitere Kostenlose Bücher