Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
oder darum, eine Bedrohung für Aarhain zu vernichten, ehe sie selbst sie vernichten konnte. Ihr wurde schlagartig klar: Wenn ihr Kind mit der Auserwählten den Schlüssel nach Alfheim zerstörte, würde Laurin weit mehr fordern als nur seinen Kopf. Er würde sie, Lau’Ley, dafür verantwortlich machen – auch ohne zu wissen, wie sehr er damit im Recht war. Dadurch hätte sie nicht nur die Chance auf eine Rückkehr vertan, sondern gleich ihr Leben. Sie musste ihren Spross unbedingt stoppen … um jeden Preis … Aber wie?!
»Du freust dich gar nicht«, stellte Laurin skeptisch fest und sah sie forschend an.
»I-i-ich«, stotterte Lau’Ley. »Natürlich freue ich mich. I-ich bin überwältigt.« Sie musste ihn ablenken, damit er mit seinem feinen Gespür nicht merkte, was in ihr vorging. »Nach Hause?«, fragte sie daher schnell. »Wirklich? Wie?«
»Das wirst du sehen, wenn es soweit ist«, erwiderte Laurin und kam zu ihr. Er zog sie von ihrem Platz in seine Arme und lächelte. »Endlich, endlich, endlich wieder heim.«
Sein sonst so finsteres Gesicht war plötzlich so voller Hoffnung, so voller Zuversicht, dass ihr das Bewusstsein dessen, was sie getan hatte, das Herz abschnürte. Sie musste unbedingt los, um ihr Kind aufzuhalten.
Da trat Johann zu ihnen hinaus auf die Brüstung. Sein Gesicht war ernst und grau.
»Eure Majestät«, sagte er leise.
Lau’Ley schickte ein Stoßgebet zu den Göttern des Chaos, dass seine verzagte Miene und sein mit Trauer erfüllter Blick in ihre Richtung bedeuteten, was sie spontan erhoffte.
»Der Leviathan … äh, Euer Kind, Lau’Ley … unsere Kundschafter haben seine Leiche gefunden«, sagte er. »Es tut mir so leid.«
Lau’Ley starrte ihn fassungslos an. Für einen Sekundenbruchteil wusste sie im Ansturm der gegensätzlichen Gefühle nicht, wie sie reagieren sollte. Dann aber brach sie in Tränen aus – und hoffte, dass Laurin nicht merkte, dass es Tränen der Erleichterung waren.
TEIL 6
GEFANGEN
43
Svenya erwachte mit den schlimmsten Kopfschmerzen ihres Lebens. Es fühlte sich an, als schlüge ein Vorschlaghammer im Takt ihres Pulses von innen gegen ihre Schädeldecke. Der Gestank von Urin, Kot und Moder stieg ihr derartig scharf in die Nase, dass sie sich übergeben musste, ehe sie überhaupt die Augen öffnete. Auch das Augenöffnen selbst war ein hartes Stück Arbeit. Die Wimpern waren verklebt von ihrem eigenen Blut, und das Salz darin brannte. Es dauerte eine Weile, bis der verschwommene Blick klarer wurde und Svenya sehen konnte, wo sie war. Sie lag auf verrottetem Stroh in einer winzigen und niedrigen Kammer aus Stein. Elbenthal oder Aarhain? Für welche der beiden Seiten hatte Yrr sie gefangen? Die Beule an der Seite von Svenyas Schädel, wo Hagens Tochter sie mit der flachen Seite ihres Schwertes getroffen hatte, war, wie sie jetzt mit vorsichtigen Fingerspitzen ertastete, so groß wie ein Hühnerei. Auch die Verletzungen aus ihrem Kampf mit dem Monster waren nicht einmal annähernd verheilt. Es fühlte sich an, als würden die Spitzen ihrer gebrochenen Rippen tief in ihren Lungen stecken. Sie sah an sich herab, und allmählich dämmerte ihr, dass sie völlig nackt war.
»Tega Andlit dyrglast.
Opinberra dhin tryggr edhli.
Dhin Magn lifnja
Oegna allr Fjandi
Enn Virdhingja af dhin Blodh.«
Doch nichts geschah. Sie blieb nackt. Davon verwirrt und von den Schmerzen benommen, schaute Svenya sich um. Bei jeder einzelnen Bewegung ihres Kopfes hatte sie das Gefühl, als würde ihr Gehirn darin hin und her schwappen und von innen gegen den Knochen stoßen, jedesmal begleitet von einem Stich wie mit einem Messer. Als es ihren Augen gelang zu fokussieren, sah Svenya, dass in die Balken der niedrigen und mit Eisen verstärkten Tür uralte Runen geschnitzt waren. Offenbar ein Schutzzauber, der verhinderte, dass die hier Gefangenen Magie anwenden konnten.
Ihr Mund war trotz des Erbrechens so trocken wie Sandpapier, und die Zunge klebte ihr am Gaumen. Auch sie war heftig geschwollen – Svenya musste sich daraufgebissen haben – entweder beim Kampf gegen das Flussungeheuer oder bei Yrrs Schlag. Sie fand einen irdenen Krug und besaß trotz ihres geschwächten Zustandes die Geistesgegenwart, daran zu riechen. Es war zwar Wasser, aber es war brackig und stank nach Kloake. Keine noch so trockene Zunge konnte sie dazu bewegen, es zu trinken.
»Hey!«, rief sie, so laut sie konnte – was jedoch nur ein mattes Krächzen war. Schnell versuchte sie es
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