Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
entführt hast, weiß, den Höhlenausgang bei der Schlucht, konnten wir dich nicht rechtzeitig stoppen. Worüber ich im Nachhinein ausgesprochen froh bin.«
»Du bist froh darüber, dass ich da draußen fast krepiert wäre?!«, donnerte Svenya, und ihr zornrotes Gesicht kam seinem dabei ganz nah.
Zu ihrem Entsetzen grinste Hagen jetzt. »Ich bin froh, dass dir da draußen unsere Feinde gleich ihr wahres Gesicht gezeigt haben … und dass du das trotz deines mangelhaften Trainings überlebt hast. Ich bin froh, dass du dabei zu deiner wahren Stärke gefunden hast – und dass du erfahren hast, wie dein Leben aussehen würde, wenn du von hier fortgehen würdest.«
»Aber«, mischte sich jetzt Yrr ein, »wenn geplant war, dass sie verschwindet, warum bin ich dann meines Postens enthoben worden? War ich nicht mehr als ein Bauernopfer für Euch, Vater?«
»Nein, Tochter«, sagte Hagen, und sein Blick wurde sanft. »Das war deine Prüfung – und zugleich die schnellste Möglichkeit, Svenya wiederzufinden.«
»Was? Auch ich bin geprüft worden?«
»Zu deinem eigenen Besten«, sagte er. »Weißt du noch, was du gesagt hast, nachdem es dir gelungen war, dich zu befreien und Svenyas Verschwinden zu melden?«
»Ich habe eingestanden, dass es ihr gelungen war, mich auszutricksen, und …«
»Genau«, unterbrach Hagen sie. » Auszutricksen hast du gesagt. Du warst nicht bereit zuzugeben, dass sie dich besiegt hatte. Deshalb habe ich dich deines Postens enthoben, weil ich wusste, dass du dich danach sofort auf den Weg machen würdest, sie zu jagen, um zu beweisen, dass du die Bessere bist. Und ich wollte, dass sie dir das Gegenteil beweist. Nicht, damit sie dich demütigt, sondern damit du ein für alle Mal akzeptieren lernst, dass sie wirklich und weitaus stärker ist als du. Außerdem bist du die beste Jägerin von uns allen – besser noch als ich –, und mir war klar, dass niemand sie schneller finden würde als du. Ich musste dir danach nur noch folgen.«
Svenya und Yrr schauten einander ungläubig an – und zum ersten Mal, seit sie sich kannten, teilten sie die gleichen Gefühle: fassungslose Wut auf Hagen und Anteilnahme für die jeweils andere.
»Das heißt«, fasste Svenya zusammen, »du hast uns beide an der Nase herumgeführt wie Tanzbären an der Kette … wie Marionetten.«
»Aber ganz im Gegenteil«, antwortete Hagen. »Ich habe eure Fesseln durchtrennt und euch freigelassen, damit ihr tun konntet, was ihr ohnehin tun wolltet.«
»Zu deinem ganz persönlichen Vergnügen!«
»Zu euer beider Bestem! Immerhin hast du die Prüfung bestanden und bist jetzt die Hüterin Midgards, und Yrr wird dir nicht länger grollen, weil sie glaubt, sie sei die Bessere für die Aufgabe. Und sie wird dir in Zukunft nicht nur zur Seite stehen, weil es ihr befohlen wurde, sondern weil sie dich, deine Stärke und deine Position respektiert.«
»So? Tut sie das?«, fragte Svenya. »Vielleicht bist du ja ein bisschen spät in den Kerker gekommen. Ihre letzte Aussage zu dem Thema war, dass sie sich noch immer nicht für besiegt hält.«
»Das war ihr Trotz«, sagte Hagen mit beinahe schon zärtlichem Blick in Richtung seiner Tochter. »Den hat sie von mir … und die Benommenheit durch deine Schläge hat ihm den Weg gebahnt.«
Svenya sah, wie Yrr das Haupt senkte und erkannte, dass ihr Vater recht hatte. Plötzlich tat sie ihr leid: Yrr war nicht nur gegen ihren Willen mit in dieses Spiel gezogen worden, nein, sie hatte durch Svenyas plötzliches Auftauchen und ihren Anspruch auf die Position der Hüterin alles auf einen Schlag verloren. Zugleich wurde Svenya damit auch zum ersten Mal richtig bewusst, was im Kern all ihrer Aufregung und Entrüstung über Hagens Vorgehensweise steckte: Sie war jetzt tatsächlich die Hüterin Midgards! Sie hatte es geschafft. Durch die Flucht hatte sie zu sich selbst gefunden … und zu ihrem Zuhause. Zu der Wut gesellte sich Erleichterung … und sogar Freude. Aber das bedeutete nicht, dass sie Hagen ungeschoren davonkommen lassen würde, beschloss Svenya.
Sie drehte sich wieder zu Alberich herum und betrachtete das Schwert, das er für sie geschmiedet hatte.
»Es ist wunderschön«, sagte sie. »Was denkst du, Yrr?«
Yrr war ein wenig überrascht über die Frage, trat dann aber neben sie.
»Oh ja«, sagte sie. »Es ist das schönste Schwert, das ich je gesehen habe.«
Svena nahm es in die Hand. Es war hervorragend ausbalanciert, und trotz des Gewichts fühlte es sich so
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