Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
ihre innere Stimme.
Doch es war nicht nur mädchenhafte Feigheit, die Svenya davon abhielt, Hagen zu küssen – es war auch, trotz mangelnder Erfahrung auf dem Gebiet, eine ganz klare Ahnung, dass es bei einem Mann wie Hagen nicht sie sein durfte, die den ersten Schritt tat. Wenn etwas geschah … falls etwas geschehen würde, dann musste es, zumindest beim ersten Mal, von ihm ausgehen. Denn auch wenn sie jetzt eine Heldin war, war er noch sehr viel mehr Held, Jäger und Krieger als sie … und er war ein Mann. Ein Mann, wie Svenya noch keinen zweiten erlebt hatte. Wenn es soweit war … falls es jemals soweit kommen sollte, musste er sie nehmen und küssen und nicht umgekehrt. So funktionierte er … und Svenya erkannte, dass sie ganz genauso funktionierte. Ihn zu küssen, wäre nicht dasselbe, wie von ihm geküsst zu werden. Und wenn sie von ihm geküsst werden wollte, musste sie geduldig abwarten, bis er so weit war.
Erst als Hagen zum dritten Mal ihren Namen sagte, riss es sie aus ihren Träumereien. Als sie ihn ansah, merkte sie, dass sie rot wurde wie ein Krebs in kochendem Wasser.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Hagen besorgt.
»In bester Ordnung«, sagte sie und meinte es so. Ja, jetzt war sie endlich Zuhause. In ihrem Zuhause. An einem Ort, an den sie gehörte. Sie hatte keine Ahnung, was die Zukunft bringen würde, aber der Moment war perfekt. »Ich bin nur völlig überwältigt … und aufgeregt. Ich kann es kaum erwarten, mein neues Reittier zu sehen.«
»Wie ich schon bei Stjarn sagte – es ist mehr als ein Reittier«, erklärte Hagen. »Mehr als ein Transportmittel. Es ist ein Begleiter, ein Gefährte im Kampf … und mit der Zeit vielleicht auch ein Freund.«
»Nun mach es nicht so spannend«, sagte Svenya. Sie war froh darüber, dass ihre Aufregung vorhin bewirkt hatte, dass sie dermaßen vertraut mit Hagen umgehen konnte. Das Du ging ihr leicht über die Lippen, und sie fühlte sich ihm dadurch noch näher.
»Zuerst noch ein paar wichtige Informationen«, sagte er, und sie gab einen ungeduldigen Laut von sich und verdrehte die Augen.
»Oh Mann, ich dachte, wenigstens für heute ist die Ausbildung zu Ende. Ich bin doch jetzt fertige und staatlich geprüfte Hüterin, oder?«
Hagen schmunzelte über ihre Flapsigkeit. »Ja, das bist du. Die einzige der ganzen Welt.«
»Also brauche ich doch jetzt keine Ausbildung mehr, oder?«
»Ausbildung nicht, aber Training. Denk daran, was ich dir gesagt habe zu dem Vergleich zwischen mir und Laurin. Du bist durch deine Macht und deine Talente bereits jetzt besser als Yrr – und das will etwas heißen. Wenn du zwei-, vielleicht dreihundert Jahre fleißig trainierst, wirst du wahrscheinlich sogar besser als ich.«
»Wow!«, sagte Svenya – aber nicht wirklich ernst. »Das ist natürlich ein paar hundert Jahre Training wert.« Allein die Vorstellung sprengte ihr Fassungsvermögen. »Warum konzentrieren wir uns nicht ausnahmsweise mal aufs Jetzt und aufs Heute, du gibst mir mein Prüfungsgeschenk, und danach feiern wir alle ein fette Party?«
Hagens Gesicht wurde wieder düster.
»So war es auch geplant«, sagte er, und seine tiefe Stimme kroch ihr über die Haut.
Ihr Lächeln verschwand. »Aber? Was ist passiert?«
»Nichts«, sagte er, und plötzlich grinste er wieder. »Ich wollte dich nur auf den Arm nehmen. Selbstverständlich findet nachher eine Feier statt. Nanna ist schon fast fertig mit den Vorbereitungen.«
Die Erwähnung ihrer Chefköchin brachte einen Gedanken an die Oberfläche, der schon die ganze Zeit an Svenya genagt hatte.
»Wer war eigentlich alles in deine Ränkeschmiede involviert?«, fragte sie. »Dass Yrr nichts wusste, ist klar, aber was ist mit Wargo und Raik?«
»Auch sie hatten keine Ahnung.«
»Aber Nanna, nicht wahr?« Obwohl es wie eine Frage klang, war es eigentlich mehr eine Feststellung. Svenya erinnerte sich noch zu gut an ihr letztes Gespräch mit ihr – an ihren versteckten Rat, von hier fortzugehen.
Hagen nickte. »Du brauchtest noch etwas Ermutigung durch jemanden, dem du vertraust und dem auch ich vertraue. Und genau wie ich war Nanna der Meinung, dass du Realität brauchst, um deine Macht zu entfalten.«
Svenya wurde das Herz schwer … und weil sie das jetzt nicht wollte, sagte sie: »Okay, was sind das für wichtige Informationen, die du mir noch geben musst, ehe ich endlich meinen Begleiter sehe?«
»Sie betreffen Hurdh.«
»Meine Tür?«
»Das Tor zu deinem Palast, ja.«
»Was ist
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