Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
heiß und kalt. »Wie meint Ihr das, ich habe den Test bestanden?«
»Du hast die Prüfung erfolgreich abgelegt«, sagte Alberich. »Das macht dich zur Hüterin Midgards.«
»Was?!«, fragten Svenya und Yrr gleichzeitig und gleichermaßen erstaunt, und Svenya fügte hinzu. »Welche Prüfung? Gegen den Leviathan anzutreten, war mein Test?«
»Oh, bei Odin, nein«, sagte Alberich abwehrend. »Das war ein unglücklicher Unfall, den wir leider nicht mehr verhindern konnten. Aber mein Kompliment zu diesem glorreichen und außergewöhnlichen Sieg! Du hast damit deinem Volk und den Menschen einen großen Dienst erwiesen.«
»Ich verstehe nur Bahnhof«, sagte Svenya und wandte sich an Hagen. »Ihr habt gesagt, Oegis zu töten wäre der Test.«
»Nein, das habe ich nie gesagt«, erwiderte er. »Das hast du nur in meine Worte hineininterpretiert.«
»Ich erinnere mich genau«, sagte Svenya. »Ich habe gefragt: Mein Test ist es, gegen Oegis anzutreten?«
»Und ich habe geantwortet: Der Test muss ein Kampf um Leben und Tod sein .«
»Was wird hier gespielt?«, fragte Svenya energisch. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Yrr die Situation ebenso wenig verstand wie sie selbst.
Hagen verzog schuldbewusst den Mundwinkel. »Du erinnerst dich doch daran, wie wir darüber gesprochen haben, dass theoretisches Training für dich nicht das Richtige ist. Darüber, dass du die Praxis brauchst, damit deine Kräfte sich entfalten und du endlich Vertrauen in sie gewinnst?«
»Ja, daran erinnere ich mich.«
»Der Test zur Hüterin ist sehr umfangreich und sehr gefährlich«, sagte Hagen. »Ich konnte nicht riskieren, dass du scheiterst, nur weil Testsituationen nicht deiner Natur entsprechen. Ich musste eine reale Prüfung für dich schaffen.«
»Was denn?«, fragte Svenya entrüstet. »Jagen wir der Kleinen mal so viel Angst ein, dass sie sich fast in die Hosen macht und abhaut? Dann warten wir gemütlich ab, bis Laurins Leute ihr auf die Schliche kommen? Und wenn die sie nur scharf genug bedrohen, wird sie wohl auch einen von ihnen alle machen?« Ihre Lautstärke hatte sich vor Wut gesteigert, bis ihre Stimme bei den letzten Worten beinahe kippte.
»Stopp!«, sagte Hagen barsch. »Das entspricht nicht den Tatsachen.«
»Nein? Was dann?«
»Lass mich erklären.«
»Ich bin äußerst gespannt.«
»Die Prüfung ist umfassend«, begann er. »Sie beinhaltet Strategie, Taktik, Entschlusskraft und Kampfesstärke … aber vor allem anderen Moral. Denn die Hüterin Midgards zu sein, ist in allererster Linie eine moralische Verpflichtung … und Herausforderung. Die Hüterin ist nicht selten Richterin und Henkerin in einer Person; oft entscheidet sie ganz allein über Leben und Tod. Wir mussten daher sichergehen, dass du dieser Aufgabe auch gewachsen bist. Das war mit dem Kampf um Leben und Tod gemeint – dass du für dich entscheiden musstest, ob du das Recht hast, ein unschuldiges Leben zu nehmen. Ja, du solltest glauben, dass es deine Aufgabe sei, gegen Oegis anzutreten … und dass du ihn zu Unrecht töten sollst. Hättest du dich dafür entschieden, hättest du niemals Hüterin werden können. Denn die Hüterin ist keine Killerin … darf keine sein, weil sie das zu einem Monster machen würde.«
Svenya war außer sich. »Hätte es da nicht genügt, mich einfach zu fragen, ob ich dazu bereit wäre oder nicht?«
Hagen schüttelte den Kopf. »Wir mussten sicher sein, dass deine Antwort kein Lippenbekenntnis ist. Mit deinem Fortgang hast du bewiesen, dass du bereit bist, alles aufzugeben, um nicht gegen deine Überzeugungen handeln zu müssen. Und mehr noch – denn auch das war ja Teil der Aufgabe: Du hast strategisches Geschick bewiesen in der Planung deiner Flucht sowie taktisches in der Ausführung … und Kampfesstärke, als du Yrr besiegt hast, um den Palast zu verlassen.«
»Ihr habt mich da draußen in eine Todesfalle geschickt«, klagte Svenya ihn an.
»Nein«, erwiderte Hagen. »Eigentlich wäre die Prüfung mit dem Erreichen der Oberfläche beendet gewesen. Aber du warst sehr viel besser als erwartet – und schneller. Ich habe nicht vor morgen Nacht mit deinem Fortgang gerechnet. Und dann hast du Yrr nicht nur besiegt, ohne dass jemand es gemerkt hat, du hast sie auch gefesselt und in deinem Bett versteckt. Deshalb haben wir erst viel zu spät von deinem Verschwinden erfahren. Und weil du keine der alarmgesicherten Türen von der Festung nach oben benutzt hast, sondern, wie ich inzwischen von der Flemys, die du
Weitere Kostenlose Bücher