Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
hinaus. Svenya wunderte sich – es war weder das Stockwerk mit Alberichs Palast, noch waren es die Kerker; es war eine der Etagen mit den Waffenkammern. Hagen ging voran und führte sie durch Räume, die sie schon vom Training her kannte, hin zu einem Bereich, den sie bisher noch nie betreten hatte. Vor vergitterten Türen standen doppelte Wachen. Sie salutierten und öffneten für Hagen und sein Gefolge.
»König Alberich erwartet Euch bereits«, sagte einer von ihnen. Hagen nickte ihm im Vorübergehen knapp zu.
Also hatte er sie hierher geführt, weil Alberich hier war, erkannte Svenya. Anscheinend hatte man es sehr eilig, ihr den Prozess als Fahnenflüchtige zu machen. Sie überlegte kurz und nicht zum ersten Mal, ob sie ihre Rüstung materialisieren und einen Kampf wagen sollte, entschied sich aber dagegen. Die Überzahl war zu groß und das Terrain eher Hagens und das seiner Leute als das ihre.
Sie passierten eine zweite und dann noch eine dritte schwer bewachte Tür. Die Räume dahinter wurden immer älter, und es fühlte sich an wie eine Reise in eine lange vergessene Zeit. Vermutlich stießen sie also in den Kern der Turmfestung vor, die anscheinend früher kleiner gewesen war, als sie es heute war. Jetzt erinnerte Svenya sich daran, dass auch der Kerker, in dem man Oegis eingesperrt hatte, älter war als die Gebäudeteile, die ihn umgaben. Auch die Leuchtjuwelen, die in die Felswände eingelassen waren, wirkten älter – so als wäre ihre Oberfläche im Laufe der Jahrhunderte an der Luft korrodiert. Ihr Licht war schwächer und matter.
Ein Gang führte zu einer kreisrunden Kammer, an deren Wand Podeste und Vitrinen standen, auf und in denen einzelne Waffen aufbewahrt waren. Schwerter, Äxte, Kriegshämmer, Speere, Dolche … und sogar etwas, das aussah wie eine Sense. Im Zentrum der Kammer stand Alberich mit dem Rücken zu ihnen. Vor ihm, also von Svenya aus nicht sichtbar, glühte etwas, und sie konnte Alberich murmeln hören. Es war ein leiser Singsang, und Svenya wusste, dass er etwas zauberte. Sie spannte sich innerlich an und rechnete mit einem überraschenden Angriff. Deshalb zuckte sie zusammen, als Hagen ihr von der Seite die Hand auf die Schulter legte und sagte: »Leg bitte deine Rüstung an.«
Also hatte man sie bereits verurteilt und sich entschieden, sie zu töten; aber man gab ihr offenbar wenigstens die Chance, um ihr Leben zu kämpfen. Svenya war entschlossen, diese Chance zu nutzen.
»Tega Andlit dyrglast.
Opinberra dhin tryggr edhli.
Dhin Magn lifnja
Oegna allr Fjandi
Enn Virdhingja af dhin Blodh.«
Endlich ihre Rüstung wieder zu tragen, gab ihr ein Gefühl der Sicherheit zurück, das die Nacktheit ihr in Hagens Nähe, anders als im Kampf gegen Yrr, genommen hatte.
»Fertig«, sagte Alberich, und er klang zufrieden. Er drehte sich herum, und Svenya hielt unwillkürlich den Atem an: Auf seinen Handflächen lag das schönste Schwert, das sie je gesehen hatte. Es war leicht gekurvt, sein Rücken war breit, das Heft länger als normal und ebenfalls gekurvt, aber in entgegengesetzter Richtung. Am Ende des Hefts war aus purem Gold ein mitten im Sprung befindlicher Drache geschmiedet, mit Augen aus Rubinen und Schuppen aus kleinen Smaragdsplittern. Die Klinge glühte von innen heraus rötlich, und der Schliff brachte die vielen Falzungen zum Vorschein, die eine hohe Festigkeit bei großer Flexibilität und außerordentliche Schärfe versprachen. Es war die perfekte Waffe für wuchtvolle Hiebe, schnelle Schnitte und Stiche, die durch die Krümmung eine größere Tiefe erreichten als bei einer geraden Klinge.
Damit also sollte sie hingerichtet werden.
Svenya legte die Hände an die Griffe ihrer eigenen Schwerter.
»Das ist Sal’Simlir «, sagte Alberich. »Der Seelentrinker. Neben Hagens Speer die stärkste Waffe, die ich jemals geschmiedet habe.« Er trat an Svenya heran und hielt ihr das Schwert entgegen.
»Was soll ich damit?«, fragte sie, ohne es entgegenzunehmen. Seinem Namen nach war es nicht unwahrscheinlich, dass es sie töten würde, sobald sie es auch nur berührte.
Alberich zog irritiert eine Augenbraue nach oben. »Mein Sohn sagte mir, er habe dir eine neue Waffe versprochen, sobald du den Test zur Hüterin bestanden hast. Aber wenn der Seelentrinker dir nicht gefällt … du kannst selbstverständlich jede Waffe wählen, die sich hier im Raum befindet. Jede von ihnen ist etwas Besonderes, und ich stelle sie dir gerne der Reihe nach einzeln vor.«
Svenya wurde
Weitere Kostenlose Bücher