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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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zu blasen. Niemand war zu dieser Nachtzeit unterwegs, die wachsamen Augen einer Ratte, die im Gras nach Essbarem suchte, erblickten den gleitenden, huschenden Fleck Dunkelheit, der mit den anderen Schatten der Hauswand verschmolz, kurz verharrte, weiterrückte, wieder zur Ruhe kam.
    Der wandernde Schemen erreichte die Türöffnung und schob sich ins tiefere Dunkel des Eingangs. Die Ratte wartete noch einen Moment, aber die sonderbare Bewegung hatte aufgehört. Beruhigt widmete sie sich wieder der Nahrungssuche.
    Im Inneren des Hauses erregte der stille Eindringling keinerlei Aufmerksamkeit. Er glitt lautlos durch die gewundenen Gänge bis ins innerste Herz des Gebäudes. Dort verharrte er erneut und schien zu lauschen. Dann schob er sich so geräuschlos, wie er durch das Haus gewandert war, durch einen sanft im Luftzug raschelnden Türvorhang und machte vor einem niedrigen Lager halt. Der Eindringling senkte den Kopf, betrachtete die Schlafenden. Einer der beiden regte sich unruhig, als bemerke er eine fremde Anwesenheit im Raum. Der Schatten beobachtete das Aufwachen reglos und kaltblütig, wartete mit grausamer Freude, bis der Schläfer ganz und gar wach war und der Schrecken in seinen Augen anzeigte, dass er sich der Bedrohung neben seinem Lager bewusst wurde.
    Kein Laut drang über die Lippen des überraschten Elben, denn der Eindringling ließ ihm keine Gelegenheit dazu. Mit der Schnelligkeit eines herabstoßenden Falken hieb er nach der Kehle seines Opfers und zerfleischte sie mit einer Beiläufigkeit, die umso grausamer war. Das heiße Blut des Sterbenden spritzte auf die Schläferin neben ihm, die, von seinen letzten Zuckungen aufgeweckt, nun mit einem Aufschrei emporfuhr.
    Der düstere Eindringling sorgte mit einer weiteren, augenblickschnellen Bewegung seiner Hand für Schweigen. Sein Griff zerdrückte den Kehlkopf der Elbin, die mit grauenerfüllter Miene zu ersticken begann. Der Schatten neigte den Kopf, unzufrieden, wie es schien, und wandte sich dann mit einem Achselzucken ab, denn von draußen war ein fragender Ruf erklungen.
    Er verließ das Zimmer und seinen Geruch nach frischem Blut, und auf dem Weg hinaus tötete er mit einer Geste, wie man eine lästige Fliege erschlägt, noch einen alten Elben, der sich ihm in den Weg stellte.
    Der Himmel war sternenklar, und in der Ferne sang ein Nachtvogel ein melancholisches Lied. Der Schatten verschmolz mit all den anderen Schatten des Hains und war verschwunden.

Andronee Mondauge, Persönliche Aufzeichnungen
    I ch habe mich oft gefragt, ob ich hätte verhindern können, was dann geschah. Vielleicht wäre es mir möglich gewesen, wäre ich nicht ausgerechnet die Oberste Tenttai der Bewahrer gewesen, sondern nur eine der Herrinnen der Fünf Häuser.
    Aber mein Status machte mich zur Feindin der Großen Häuser, und als erste Beraterin der Königin war ich diejenige, die nun die gesamte Last und die Schuld am Geschehenen auf ihren Schultern tragen musste.
    (…)
    Es nahm seinen Lauf, unabwendbar. Die Ältesten schließlich waren es, die uns den Ausweg aus einem blutigen und todbringenden Chaos wiesen, und obwohl die Konsequenz verhängnisvoll für unser ganzes Volk sein musste, wählten wir schließlich mit großem Leid in unseren Seelen diesen Weg.
    (…)
    Es brach mir das Herz, als ich mitansehen musste, wie die Ältesten sich voneinander trennten. Wenn mir irgendwann deutlich wurde, welch ein Riss ab jetzt durch unser Volk gehen würde, dann war es an dieser Stelle. Sie hielten sich ein letztes Mal an den Händen, dann löste sich Windgesang von ihrem weinenden Bruder, nahm ihr Bündel und schritt uns allen voran auf unserem langen Weg. Seit diesem Tag sind wir auf Wanderschaft, doch unsere Herzen sehnen sich auch heute nach den Stätten unserer Kindheit zurück.

22
    D as eisenbeschlagene Tor der Kervansaray stand weit offen. Der dunkelhäutige Wächter, der im Schatten der dicken Mauern stand, wirkte nur auf den ersten Blick schläfrig. Er hielt eine Lanze lässig in der Armbeuge und hatte die Daumen in seinen Gürtel gehakt. Sein langer, schwarzer Schnurrbart bewegte sich im Rhythmus seiner Kaubewegungen, und hin und wieder spie er in den Sand neben seinen Stiefeln.
    Aber seine dunklen Augen musterten die eintreffenden Reisenden scharf und genau, und er bemerkte jede Waffe und jedes verhüllte Bündel, das auf einem Skrallrücken an ihm vorbeischaukelte.
    Die achteckige Wehranlage lag an der großen westlichen Karawanenroute und war deshalb selbst von

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