Elbenzorn
Fingern, streichelte es, schmeichelte und sang die Form hinaus, die darin steckte und nun ans Licht drängte wie ein Küken, das aus einem Ei schlüpft.
Olkodan sah mit angehaltenem Atem zu. Er hatte Baumsinger bei der Arbeit gesehen, aber es waren immer größere Arbeiten gewesen. Als Kind hatte er zugesehen, wie die hölzerne Bank, die rund um die Kastanie auf dem Marktplatz von Grünau führte, aus dem Stamm gesungen worden war. Das hatte ihn so beeindruckt, dass er seitdem auch Baumsinger werden wollte. Später hatte er erfahren müssen, dass dieser Weg einem einfachen Hainelben wie ihm nicht offenstand. Sein Unglück darüber hatte einen großen Teil seines Lebens überschattet und ihm immer wieder Zeiten tiefer Mutlosigkeit beschert.
Sein Gemüt hatte sich erst wieder dauerhaft aufgehellt, als er Iviidis kennenlernte, sich in sie verliebte und feststellte, dass sie seine Gefühle erwiderte.
»Olkodan?«, fragte Alvurkan sanft.
Er schüttelte die Gedanken ab. »Ich habe das noch nie so aus der Nähe gesehen«, sagte er langsam. »Ich glaube, ich versuche es noch einmal.«
Alvurkan legte die aus dem Holz gesungene Rose beiseite. »Baumsinger lassen sich nicht gerne auf die Finger sehen, ich weiß«, sagte er. »Mir macht das nichts aus. Ich fürchte nur, ich bin kein guter Lehrer.«
Olkodan schaute von dem Holz auf. »Warum bemühst du dich so um mich?«, fragte er.
Der andere blickte ihn offen an. »Ich habe Iviidis immer sehr gerne gehabt«, antwortete er. »Ihr Vater hat mich früh entmutigt, mich als Anwärter auf ihre Hand zu sehen – und ich habe mich entmutigen lassen. Dafür schäme ich mich heute noch.« Er senkte den Blick. »Ich habe mir damals nur eins gewünscht: dass sie sich nicht dazu bringen lässt, Nekiritan zu heiraten.«
Olkodan hatte die Hand mit dem Holzstück sinken lassen. »Und du nimmst mir nicht übel, dass ich Iviidis …«
Alvurkan schüttelte den Kopf. »Ich habe mich gefreut. Du bist genau der Richtige für sie. Und ich habe Riikarja gefunden, für die ich genau der Richtige bin. Iviidis hat in mir nie mehr gesehen als einen guten Freund, und mehr als das will ich heute auch nicht mehr sein.« Er deutete auf Olkodans Hand. »Du wolltest etwas damit tun.«
Olkodan sah ihn noch einen Augenblick lang an, dann sammelte er sich wieder und wandte sich ganz dem Holz zu. Er bemühte sich, das zu wiederholen, was er bei Alvurkan gesehen hatte, und für eine kleine Zeitspanne schien sich das harte Material in seiner Hand zu erwärmen und weicher zu werden. Er atmete scharf aus und sah auf. Der Baumsinger lächelte.
»Ich denke, wir können daran arbeiten«, sagte er. »Ich bin kein geübter Lehrer, aber wir können gemeinsam schauen, was dabei herauskommt. Wenn du möchtest.«
»Ob ich möchte?«, sagte Olkodan atemlos. »Es gibt nichts, was ich mir jemals mehr gewünscht habe in meinem Leben. Außer meiner Frau«, fügte er leise hinzu und blickte auf das Holz in seiner Hand, das sich an einer Seite leicht verformt hatte.
Alvurkan klopfte ihm sacht auf die Schulter. »Ich freue mich darauf, mit dir zu arbeiten«, sagte er.
Olkodan war nachdenklich und beschwingt zugleich, als er nach Hause ging. Er brannte darauf, Iviidis zu erzählen, was geschehen war – und ihr zu sagen, dass er dem Gedanken, zumindest für eine Zeit wieder in den Sommerpalast zurückzukehren, gar nicht mehr so abgeneigt war.
Er ging an der Wache vorbei, die in Glautas’ Hof stand, und schritt dann eilig die Biegungen des Ganges entlang, die ins Herz des Hauses und zu Iviidis’ Gemächern führten. Im Eintreten sagte er: »Weißt du, was …« und unterbrach sich gleich wieder. Die Frau, die im Zimmer stand, war nicht Iviidis. Sie war dunkelhaarig und stämmig und trug die Uniform einer Gardistin.
Beide begannen gleichzeitig zu reden, hörten wieder auf, und Olkodan gab der Frau lachend ein Zeichen mit der Hand. »Du musst Broneete sein«, sagte er.
Die Gardistin nickte und hob die Schultern. »Entschuldige, dass ich hier eingedrungen bin«, sagte sie. »Iviidis hat nichts dagegen, wenn ich hier auf sie warte, und ich wusste nicht, dass jemand anderes … Du bist Olkodan, ihr Mann, nicht wahr?«
Olkodan bestätigte das und sagte: »Iviidis ist ins Archiv gegangen, aber wenn du möchtest, kannst du gerne hier auf sie warten.« Broneete dankte ihm, entschied sich aber dagegen. »Könntest du ihr ausrichten, dass ich hier war?«, fügte sie hinzu. »Ich komme morgen nach meinem Dienst noch einmal
Weitere Kostenlose Bücher