Elbenzorn
vorbei.«
Sie verabschiedete sich, und Olkodan machte sich auf die Suche nach seinem Sohn. In der Küche wurde er schließlich fündig – Indrekin saß auf einer Arbeitsplatte und patschte mit seinen kleinen Händen auf einem Teigklumpen herum. Die Köchin und sein Kindermädchen standen lachend neben ihm, die Köchin mit einem Nudelholz in der Hand, und boten ihre Hilfe an, aber Indrekin wollte alles alleine machen. Das Nudelholz war zu groß und zu schwer für ihn, aber er gab nicht auf. Er kniete auf der Platte, beide Hände auf das Holz gestemmt, und schob ächzend und stöhnend den Teigklumpen damit vor sich her.
Olkodan stellte sich neben ihn und bewunderte das Werk.
»Ich backe Kekse«, sagte Indrekin stolz.
»Und das macht er sehr gut«, fügte Leniita hinzu und drückte unauffällig den Teig mit ihren großen Händen flach. »Jetzt musst du sie ausschneiden.« Sie drückte dem Jungen ein flaches Holz in die Hand.
Olkodan setzte sich an den großen Eichentisch, der mitten in der Küche stand, und sah zu, wie Indrekin und die Köchin die Plätzchen formten und auf ein Blech legten.
Zwischendurch drehte Leniita sich um und sah ihn streng an. »Du siehst aus, als hättest du heute noch nichts gegessen«, sagte sie. Ohne Olkodans Antwort abzuwarten, ging sie zum Schrank und holte Brot, Butter und Käse heraus. Sie schnitt ein paar kräftige Scheiben von dem knusprigen Brot ab, nahm aus einem Korb eine kleine Gurke und eine Handvoll Radieschen und legte alles auf ein großes Holzbrett, das sie vor Olkodan hinstellte.
Er stellte fest, dass sie recht hatte, und begann zu essen, während Indrekin vor dem großen Herd stand und gespannt zusah, wie seine Kekse in dem rußigen Bauch verschwanden.
Iviidis war noch nicht wieder nach Hause gekommen. Olkodan saß noch eine Weile auf dem Diwan und dachte über den Tag und seine Ereignisse nach. Was Alvurkan gesagt hatte, stimmte. Er hatte sich verändert. Zwar fühlte er sich in Glautas’ Gegenwart immer noch ein wenig wie ein Dienstbote, der gerade das beste Geschirr zerschlagen hat, aber er hatte nicht mehr die Angst vor Iviidis’ Vater, die ihm früher in seiner Gegenwart immer die Knochen erweicht hatte.
Olkodan lächelte. Anscheinend war er damit nicht allein. Wenn sogar ein angesehener Baumsinger wie Alvurkan Glautas fürchtete, dann war sein eigener Respekt keine Feigheit, sondern eine schlichte Tatsache. Mit dem Obersten Tenttai war eben nicht gut Kirschen essen, außer, man hatte einen sehr langen Löffel.
In der Abenddämmerung sang eine Amsel. Olkodan seufzte und legte sich für einen kurzen Augenblick der Ruhe auf das Bett, um auf Iviidis zu warten.
Er erwachte, weil er fror. Zuerst wusste er nicht, warum er voll angekleidet auf dem Bett lag. Durch das Fenster zog ein kühler Luftzug herein, der nach frischem Heu und Feuchtigkeit roch. Regen plätscherte leise.
Olkodan stand steifgliedrig auf und ging ans Fenster. Es war tiefe Nacht. Verwirrt sah er sich um. Wo war Iviidis? Vielleicht war sie hinausgegangen, um nach Indrekin zu sehen. Aber selbst wenn sie ihn, Olkodan, nicht hatte wecken wollen, hätte sie sicherlich die Decke über ihn gelegt, damit er nicht fror. Das tat sie sonst immer.
Er stand unschlüssig eine Weile im Zimmer, dann ging er zur Tür und blickte hinaus. Es war dunkel, das Haus schlief. Nichts regte sich.
Schließlich ging er zu Bett. Es war unwahrscheinlich, dass Iviidis hier im Sommerpalast etwas zugestoßen war. Sicher hatte sie sich einfach noch mit einer Freundin getroffen und dort auch gleich übernachtet. Es bestand überhaupt kein Grund zur Sorge. Obwohl er sich das sagte, hatte er Mühe, wieder in den Schlaf zu finden. In seinem Kopf kreisten Bilder, und ihm klangen die Worte des Zwerges im Ohr: Die Schwester deiner Frau hat mich gebeten, ein Auge auf dich und Iviidis zu werfen.
Die Schwester seiner Frau. Er versuchte, sie sich vorzustellen. Über dem Bild einer Elbin, die ihn mit Iviidis’ Augen aus einem Gesicht anlächelte, das nicht Iviidis gehörte, schlief er endlich ein, und im Einschlummern hörte er sie mit Glautas’ Stimme sagen: Pass auf Iviidis auf. Sie ist in Gefahr!
In der dunkelsten Stunde der Nacht hörte der Regen plötzlich auf, und ein frischer Wind erhob sich. Das Haus lag still unter einem aufklarenden Himmel, über den Wolkenfetzen trieben. Ein Nachtvogel ließ seinen klagenden Ruf hören, der plötzlich abbrach. Einen Augenblick lang war es vollkommen ruhig, selbst der Wind hatte aufgehört
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