Elbenzorn
warmen Handflächen. »Du bist gesegnet«, sagte sie. »Und jetzt erzähle mir von deinem Traum.«
Rutaaura zog ihre Hand nicht fort »Welchen meiner Träume möchtest du hören?«, fragte sie spitz. »Ich hatte reichlich Gelegenheit zu träumen – sehr viel anderes gab es hier nicht zu tun.«
»Den letzten Traum von allen meine ich«, sagte die Elbin geduldig. »Den Traum, der mich zu dir gerufen hat.«
Sterne fielen wie Funken durch Rutaauras Blickfeld. Sie blinzelte erschrocken.
»Ah«, sagte die alte Elbin. »Ich sehe … Wir hatten lange keine Sternfängerin mehr unter uns.« Sie ließ Rutaauras Hand los und zeichnete mit dem Daumen ein verschlungenes Symbol auf Rutaauras Stirn. Es prickelte, und Rutaaura rümpfte die Nase.
Die alte Elbin stand auf. »Erhebe dich, Rutaaura Sternfängerin. Wir werden diesen Ort später wieder aufsuchen, aber nun sollten wir ihn verlassen.«
Rutaaura ergriff die auffordernd ausgestreckte Hand nicht und verschränkte die Arme. »Ich kenne deinen Namen nicht«, sagte sie.
Die Elbin neigte den Kopf. »Vergib mir meine Nachlässigkeit. Windgesang nennen mich meine Kinder.«
Rutaaura nickte. »Du bist die Älteste, ich habe von dir gehört.« Sie grinste. »Man hat mir gesagt, wir seien uns ähnlich.« Die alte Elbin kräuselte die Lippen. »So«, sagte sie nur. »Kommst du mit mir, oder möchtest du noch ein wenig hier verweilen? Ich hatte allerdings nicht den Eindruck, dass du den Aufenthalt hier sehr genossen hast.«
Rutaaura warf einen Blick an sich herab und sah, dass sie bis auf die Stiefel vollständig bekleidet war. Sie stieg hinein, schnürte sie und erhob sich. »Gehen wir also«, sagte sie.
Vor dem Eingang der Höhle stand schweigend eine weitere Elbin. Rutaaura schenkte ihr nur einen flüchtigen Blick, in der Annahme, dass es eine der beiden war, die sie auch hierher in ihren Kerker geführt hatten. Sie schritten gemeinsam durch die Höhlengänge, und schneller als erwartet drang der erste Schimmer des Tageslichts an ihre Augen.
»Halt«, sagte Rutaaura und blieb stehen. »Ich bin doch … Meine Schwester Iviidis ist irgendwo da drinnen. Wir müssen sie suchen!« Rutaaura bemerkte, dass die andere Elbin zusammenzuckte und sich ihr zuwandte, aber sie sah nur die Älteste an und wartete auf deren Antwort.
Windgesang schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht hier.«
»Aber …«
»Wir werden über deine Erlebnisse dort sprechen. Aber nicht jetzt«, sagte die Älteste unnachgiebig. Sie setzte ihren Weg fort, und die schweigsame Begleiterin folgte ihr nach kurzem Zögern. Sie warf Rutaaura wieder einen schnellen Blick zu. Ihr Gesicht lag tief im Schatten ihrer Kapuze, Rutaaura konnte nur ein paar helle Augen ausmachen, ehe die Elbin ihr Gesicht wieder abwandte. Sie traten ins Licht eines frühen Morgens, und Rutaaura schossen die Tränen in die Augen, so sehr wurde sie geblendet nach der langen Dunkelheit. Eine Hand schloss sich um ihren Arm, und sie duldete gerne, dass jemand sie führte, solange sie nichts sehen konnte.
Langsam kehrte ihre Sicht zurück. Bäume beschatteten ihren Weg, und sie atmete in tiefen Zügen die würzige Luft, die eine Erholung war nach dem langen Aufenthalt in der unbewegten Atmosphäre des Höhlensystems.
»Danke«, sagte sie leise zu der hochgewachsenen Elbin. »Ich kann wieder alleine gehen.« Diese nickte, immer noch schweigend, und ließ sich ein paar Schritte zurückfallen.
Windgesang führte sie quer durch das Tal, bis sie wieder auf dem kleinen Platz zwischen den Hütten anlangten. Eine Gruppe von Elben hatte sich um einen kleinen Brunnen versammelt, und Rutaaura erkannte voller Freude Sonnenlied unter ihnen. Die Elbin erblickte sie beinahe im gleichen Augenblick, sie hob die Hand und winkte. »Hallo, kleine Schwester! Hast du gut geschlafen? Es tut mir leid, dass wir unser Bad gestern nicht mehr genießen konnten – aber das holen wir heute nach!«
Rutaaura starrte sie verwirrt an. »Gestern?«, fragte sie.
Die große Elbin, die dicht hinter ihr stehen geblieben war, legte ihr die Hand auf die Schulter. Dann drehte sie sich zu der Elbengruppe um und sagte laut und mit Triumph in der Stimme: »Es gibt keine kleine Schwester mehr unter uns. An meiner Seite seht ihr Sternfängerin!«
Die Elben schwiegen kurz, dann erstaunten sie Rutaaura damit, dass sie in lauten Jubel ausbrachen. Aus den Hütten kamen weitere Dunkle dazu, die winkten und lachten. Sonnenlied hob die Hände und rief: »Du bist gesegnet,
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