Elbenzorn
verriegelten Tür oder mit einem Fußeisen um den Knöchel. Sie blieb also wach. Sie ging durch ihre Zelle – denn als solche empfand sie diesen Ort – und zählte die Schritte.
Ihre Augen brannten. Sie lehnte sich gegen die Wand, und als sie spürte, dass ihr der Kopf auf die Brust sank, hockte sie sich in den Eingang zur Höhle, versperrte mit ihren Beinen den Durchgang und erlaubte dem Schlummer, sie mitzunehmen.
Sie erwachte mit steifen Gliedern, immer noch in die Türöffnung geklemmt, und das Erste, was sie sah, als sie sich hochrappelte, war eine frisch gefüllte Waschschüssel.
»Orrins verlauster Arsch!«, entfuhr ihr einer von Trurres saftigeren Flüchen. Sie trat so heftig gegen die Schüssel, dass diese gegen die Wand schepperte und ihren Inhalt über das Strohlager verteilte.
Die Tage vergingen, ohne dass sie hätte sagen können, wie lange sie schon in der ewigen, gleichförmigen Wärme der kleinen Höhle ausharren musste. Wenn sie schlief, träumte sie davon, wie sie durch die Höhlen wanderte. Wenn sie wach war, starrte sie die Wände ihres Gefängnisses an. Irgendwann zog sie Zweige und ein paar Handvoll Stroh aus ihrem Lager, wickelte ein paar Scheiben Brot in ein Tuch, trank sich am Wasser satt, warf eine Decke um ihre Schultern und verließ ihr Gefängnis. Ihre Augen hatten sich an die Finsternis angepasst, sie benötigte keinen Elbenfunken mehr, um ihren Weg zu finden.
Als sie das erste Mal rastete, betrachtete sie sorgenvoll den schrumpfenden Holzvorrat. An jeder Weggabelung hatte sie ein Stückchen von einem Zweig abgebrochen und damit ihren Weg markiert, und sie hatte nicht den Eindruck, dass sie der Welt draußen ein bedeutendes Stück näher gekommen war. Es war unmöglich zu erkennen, ob sie weiter in den Berg hineinging oder ob die Richtung, in die sie sich bewegte, stimmte. Hin und wieder kam es ihr vor, als stiege der Boden leicht an, aber selbst das konnte gut oder schlecht, richtig oder falsch sein.
Seufzend legte sie sich zurück und starrte in die Dunkelheit über ihrem Kopf.
Als sie ihre Wegmarken aufgebraucht hatte, kehrte sie um. In ihrer Höhle warteten Essen und frisches Wasser auf sie, als wären sie aus dem Felsen gewachsen. Ihr Lager war gerichtet, die herausgezogenen Zweige und Halme wieder ordentlich hineingesteckt, die Decke, die sie mitgenommen hatte, durch eine neue ersetzt. Rutaaura ließ sich auf das Lager sinken, drehte das Gesicht zur Wand und zog die Decke über den Kopf. So lag sie lange, ohne zu schlafen. Dann erhob sie sich erneut, packte alles Essbare in ein Tuch, wickelte ein Bündel Zweige in eine Decke, die sie sich umschlang, und nahm den Wasserkrug.
Während sie durch riesige Gewölbe schritt, in denen ihre Schritte von unsichtbaren Wänden widerhallten, sprach sie mit ihren Gefährten. »Dort drüben ist ein Gang, den wir probieren sollten«, schlug sie vor.
»Es geht hinauf«, erwiderte Lluigolf. Sie hörte seine Stimme so deutlich, als ginge er dicht neben ihr. »Wir sind ein ganzes Stück abwärts gegangen, aber hier steigt der Boden wieder an. Was meinst du, Hexenmeister? Du bist doch der Experte für Höhlen.«
»Wenn ich Höhlen mögen würde, wäre ich zu Hause geblieben«, brummte der Zwerg. Rutaaura meinte sein Lächeln zu sehen und vernahm das dumpfe Geräusch, mit dem sein Stock auf dem Felsboden auftraf. »Hier hinab scheint mir richtig.« Sie wandte den Kopf und blickte in den Gang, auf den Trurre zeigte.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde wahnsinnig, wenn ich noch lange hier herumlaufe«, sagte sie zu den beiden.
»Das ist richtig«, erwiderte der Zwerg ungerührt.
»Du schaffst das schon«, sagte Lluigolf. Seine Stimme klang zärtlich. Rutaaura drehte sich zu ihm um und erschrak. Neben ihr ragte ein mannshoher Stalagmit empor, der in Kopfhöhe zwei dunkle Flecken wie Augenhöhlen aufwies. Sie starrte ihn an und fragte sich einen herzklopfenden Moment lang, ob ein Zauber Lluigolf in Stein verwandelt habe.
Sie schluckte laut und ließ sich an dem Stein hinab auf den Boden gleiten. Hockend vergrub sie das Gesicht in den Händen. »Ich – muss – hier – raus«, flüsterte sie durch fest zusammengebissene Zähne.
»Ich fürchte mich auch«, vernahm sie da eine leise Stimme. Sie riss den Kopf hoch. Neben ihr kniete eine helle Gestalt mit verhülltem Gesicht. Sie trug keinen Schleier, wie Rutaaura verblüfft feststellte, sondern schien eine dünne Schlafdecke um ihren Kopf gewickelt zu haben und presste darüber noch die
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