Elbenzorn
vernommen?«
»Sie hat mich gerufen.« Er zögerte. »Sie hat meinen Namen gerufen. Nein, sie hat nicht meinen Namen gerufen. Aber sie meinte mich …« Er schüttelte den Kopf und rieb sich die Schläfe.
Alvydas schloss halb die Augen und schien zu lauschen. Dann hieb er mit der Hand auf den Tisch und sprang auf. Olkodan starrte ihn mit offenem Mund an. Der alte Elb schien sich vor seinen Augen mit jedem Atemzug zu verjüngen.
»Das also ist es«, rief Alvydas. »Blatt und Baum! Der alte Stumpf beginnt wieder zu grünen!« Er rieb sich die Hände und lachte. Dann deutete er auf Olkodan. »Morgen Abend«, sagte er. »Du kommst, wenn es dämmert. Ich vertrage noch kein Tageslicht.« Er hob die Hand und dachte nach. »Vielleicht bringst du diese Frau mit – wie heißt sie? Die Gardistin.«
»Broneete«, sagte Olkodan verdutzt.
»Genau. Wir werden bewaffneten Geleitschutz brauchen.« Alvydas hatte sich umgedreht und wühlte in einer Truhe herum, murmelte dabei vor sich hin. Sein Gehstock lag vergessen in einer Ecke.
»Wo hast du sie gehört?«, fragte er. Seine Stimme klang dumpf, weil er sich tief über die Truhe beugte.
»Wo?« Olkodan überlegte. Dann deutete er unsicher in eine Himmelsrichtung. »Ich glaube, es kam von dort.« Da der alte Elb nicht zu ihm hinsah, fügte er hinzu: »Südosten.«
»Hmm. Der alte Ulmenhain. Ich hätte es mir denken können. Ah.« Er richtete sich auf und hielt triumphierend einen strahlend grünen Stein in die Luft. Der Stein schien von innen zu leuchten. »Siehst du? Embul zeigt sich.«
Olkodan gab es auf. Alvydas schien ihm wie von Sinnen. Aber er hatte Iviidis’ Stimme gehört, und allein darüber war er überglücklich.
»Warum denn nicht heute?«, fragte er ungeduldig. »Was auch immer du vorhast – warum willst du es erst morgen Abend beginnen?«
»Ich muss mich vorbereiten«, sagte Alvydas. »Ich bin noch nicht wieder stark genug – aber gib mir Zeit bis morgen, dann werde ich Askurs Kräfte erneut für mich nutzen können.« Das Leuchten um ihn schien zu verblassen, er tastete nach seinem Stuhl und ließ sich hineinsinken. »Danke«, sagte er leise. »Danke, mein Sohn. Geh jetzt, lass mich ausruhen. Morgen werden wir deine Frau suchen.«
Olkodan fühlte sich ein wenig zittrig, als er den Weg nach Hause einschlug. Seine Erinnerung an den Vorfall im Baum verblasste bereits, aber zurück blieb das Gefühl, einer ungeheuren Kraftquelle nahe – zu nahe – gekommen zu sein. Er schüttelte sich und tastete unwillkürlich über seine Arme und die Brust. Es war alles noch an Ort und Stelle, obwohl er sich fühlte, als wäre er zerlegt und danach nicht ganz richtig wieder zusammengesetzt worden.
Rund um Glautas’ Haus wimmelte es von Soldaten. Olkodan sah sich befremdet um und rannte dabei einen Gardisten um, der stolperte und sich mit einem Fluch an ihm festhielt.
»Entschuldige, Rimas, ich hab dich nicht gesehen«, sagte Olkodan und half dem Gardisten, auf den Füßen zu bleiben. »Was ist denn hier los?«
Der Soldat rückte seine Jacke zurecht. »Der Kommandeur hat uns abgestellt, die innere Sicherheit rund um die Hohe Halle zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass wieder Ruhe einkehrt. Wir haben deshalb den Befehl erhalten, uns bei der neuen Krisen-Beauftragten der Garde zu melden.« Er blickte sich um. »Ist deine Frau inzwischen wieder aufgetaucht?«, fragte er leise.
Olkodan schüttelte den Kopf. Der Gardist klopfte ihm tröstend auf die Schulter. »Wir werden sie sicher bald finden«, sagte er. »Dafür ist die Garde schließlich da. Sag mal, was ist hier bei euch eigentlich los? Drei Häuser haben gebrannt, und es hat Tote gegeben.«
Olkodan schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Aber manchmal wünschte ich mir, ich wäre im Randgebiet geblieben.«
Der Gardist klopfte ihm noch mal auf die Schulter, und Olkodan knuffte zurück, dann betrat er das Haus, in dem ebenfalls allerlei Volk durch die Gänge hastete. Er bahnte sich seinen Weg in die Küche und fand dort die ersehnte Ruhe. Die Köchin sah wütend auf und hatte schon den Kochlöffel erhoben, um den Eindringling hinauszuweisen, aber als sie ihn erkannte, hellte sich ihre erboste Miene auf. »Mach die Tür zu, schnell«, sagte sie. »Komm, setz dich her. Du siehst ja halb verhungert aus.«
Mit einigen Handgriffen richtete sie ihm einen Teller mit Broten und schöpfte einen Napf Suppe dazu. Dann drehte sie sich zur Tür und schimpfte: »So kann ich nicht arbeiten. Ständig
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