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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Zeug«, fuhr er ihn an. »Dies hier« – er wies mit einer verächtlichen Handbewegung auf die Kugel, die zwischen ihnen auf dem Tisch lag –, »das kann jeder, der noch ein bisschen altes Blut in seinen Adern hat. Das könnte ich deinem Sohn beibringen. Die Arbeit mit lebendem Holz ist eine Arbeit für Erwachsene. Du bist erwachsen, also hör auf, dich herauszureden!«
    Olkodan blinzelte verdutzt. Es war das erste Mal, dass er die sanfte Stimme des alten Elben hatte laut werden hören.
    Alvydas schnippte ungeduldig mit den Fingern und deutete auf die Wand seiner Höhle. »Hier. Lebendes Holz. Fang an!« Olkodan stand zögernd auf. Er kniete sich vor die Wand und legte beide Hände auf das Holz. Dann blickte er fragend zu Alvydas auf, aber der hatte sich abgewandt und starrte mit gerunzelter Stirn ins Leere.
    Der junge Elb schloss die Augen und spürte dem Gefühl in seinen Händen nach. Wie seine Lehrer es ihm gezeigt hatten, suchte er nach den Lebenslinien im Holz, nach den feinen Kanälen und Adern, die es durchzogen. Aber dies war kein totes Werkstück, sondern ein lebender, uralter Baum. Er keuchte, als sein tastender Geist in das verzweigte Netz von Lebensadern gezogen wurde. Vor ihm spannte sich eine Myriade von Wegen und Bahnen. Rundherum pulsierte die Kraft des Baumes. Grüngoldene Lebenssäfte stiegen von den Wurzeln auf und kreisten empor bis in die feinsten Blattspitzen, sanken zurück und brachten Licht und Energie mit, stiegen erneut auf, bis ihm schwindelig zu werden drohte. Ein donnerndes Rauschen wie von einem Wasserfall machte ihn beinahe taub und goldene Funken tanzten vor seinem Blick.
    »Zapf es an«, dröhnte Alvydas’ Stimme durch das Sausen in seinen Ohren. »Fasse hinaus und berühre es. Das ist Askurs Kraft, die Urkraft unserer Ahnen!«
    Olkodan riss den Mund zu einem lautlosen Schrei auf und reckte sich hinaus. Er streckte sich und wuchs, bis er so groß war wie der Baum, in dessen Bauch er kniete. Seine Knochen knackten, und die Sehnen und Muskeln seines Körpers schrillten vor Schmerz. Er berührte die Essenz des Baumes, seine Seele, und hörte auf zu existieren. Er wurde Licht, grüngoldenes Licht und wortloses Sein. Er zirkulierte mit den steigenden und fallenden Energien, stieg in die höchsten Baumspitzen, fühlte das Sonnenlicht und hörte den Wind, dann sank er tief hinab, bis in die Wurzeln, die weit ins Innere der Erde hinabreichten. Kühl, dunkel und schwer lag er da, und kleines Getier wimmelte um seinen Leib, während seine Fingerspitzen sich schlängelnd in die fette Erde gruben. Er war alt. Älter als alle seine Kinder, die sich um ihn scharten. Da waren die, die wie er ihre Wurzeln in den Boden gruben und ihre Äste in den Himmel reckten. Da waren die, die herumliefen und mit Augen blickten und mit Stimmen sangen. Er war. Er war einer der Ersten.
    Gedanken verloren sich. Wille blieb. Wille, Neues zu treiben und zu grünen und zu wachsen. Seufzend ließ er einen neuen Trieb entstehen. Zartes Grün entfaltete sich und strebte dem Licht der Sonne entgegen. Warm und reich.
    Zufrieden. Er streckte sich aus und rief. Und weit, weit entfernt wurde ihm Antwort zuteil.
    Embul …, hauchte er.
    Askur, rief es sehnsüchtig. Askur …
    Jemand schüttelte seinen Stamm. Er brummte unwillig und peitschte mit den Ästen nach dem Störenfried. Wer rüttelte an ihm, dass er beinahe sein Laub verlor? Er öffnete die Augen. »Was«, versuchte er zu sagen, aber nur ein unartikuliertes Stöhnen kam aus seinem Mund.
    Alvydas half ihm hoch und hielt einen Becher an seine Lippen. Langsam klärte sich sein Kopf.
    Er hob schwach die Hand und wehrte den Becher ab, als er ein zweites Mal seinen Mund berührte. »Danke«, krächzte er. »Bei den Ewigen, was war das?«
    Alvydas half ihm aufzustehen. Er stützte sich auf den alten Elben und humpelte zu seinem Stuhl.
    »Gut gemacht«, sagte Alvydas. Seine Augen funkelten, und sein blasses Gesicht hatte sich ein wenig gerötet. »Du hast meine Erwartungen nicht enttäuscht.«
    Olkodan hörte ihm nicht zu. Er haschte nach einer Erinnerung, die ihm zu entgleiten drohte. Das Erlebnis, das er gerade gehabt hatte, zerfaserte unter seinen Fingern wie allerfeinste Spinnweben im Sturm. Da war eine Stimme gewesen, die seinen Namen gerufen hatte, und diese Stimme gehörte …
    »Iviidis«, sagte er laut. Er griff erregt nach Alvydas’ Hand. »Hast du sie auch gehört?«
    Der alte Elb hielt seine Finger umschlossen. »Nein«, sagte er ruhig. »Was hast du

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