Elbenzorn
vestohlen. Noch vor ein paar Tagen war Alvydas ihm so hinfällig erschienen, dass er gefürchtet hatte, er wäre auf seinem letzten Weg. Aber seit dem gestrigen Tag wirkte Alvydas, als hätte er neues Leben getrunken.
»Hier«, sagte Olkodan gedämpft, stellte den Bierkrug ab und bedeutete Alvydas zu warten. Dann schob er sich in das dichte Gebüsch. Blätter blieben in seinem Kragen hängen, und ein Zweig zerkratzte ihm die Wange. »Trurre?«, flüsterte er. Niemand antwortete. Er schimpfte leise und manövrierte sich rückwärts wieder hinaus.
Neben Alvydas stand der Zwerg. Er hatte den Krug in der Hand und schnitt gerade mit einem Messer die Versiegelung auf. Alvydas lächelte. »Er ist ein Meister versteckter Künste, dein Freund«, sagte er.
»Wo war er?«, fragte Olkodan ein wenig verschnupft. »Hier«, erwiderte der Zwerg. »Ihr habt mich nicht gesehen, seid einfach an mir vorbeimarschiert. Danke übrigens für das Lebenselixier.« Er zwinkerte und setzte den Krug an die Lippen.
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte Olkodan, während Trurre sich mit einem genüsslichen Schmatzen die Lippen leckte.
»Wir halten uns südlich«, erwiderte Alvydas. Er lauschte. »Die Bäume dort sind ruhig. Anscheinend halten sich die Soldaten in der Hauptsache rund um die Hohe Halle auf. Je weiter wir zum Rand des Sommerpalastes kommen, desto weniger Leute werden uns über den Weg laufen.«
»Das ist gut«, bemerkte Trurre. »Ich bin heute dreimal nur um Barthaaresbreite einer Patrouille entkommen.« Er verstaute den Krug, in dem es nur noch schwach gluckerte, nach einem fragenden Blick zu den beiden Elben in seinem Rucksack. Dann nahm er seinen Stock in die andere Hand und bekundete: »Ich bin bereit.«
Olkodan ging neben Alvydas her, um den alten Elben bei schwierigen Wegstrecken unterstützen zu können. Aber er stellte schnell fest, dass Alvydas anscheinend mühelos mit Trurre und ihm mithalten konnte.
Der Zwerg stapfte schweigend hinter ihnen her. Ab und zu hörte Olkodan ihn etwas wispern, aber sosehr er seine Ohren auch anstrengte, er verstand nicht, was Trurre sagte.
Nachdem sie eine ganze Weile so durch die Nacht gewandert waren, ohne jemand anderem zu begegnen als einigen Igeln und Mäusen, ließ Olkodan Alvydas vorangehen und gesellte sich zu Trurre.
»Warst du bei deiner Familie?«
Trurre nickte.
»Haben sie sich gefreut?«
Trurre warf ihm einen schrägen Blick zu. »Teils, teils«, erwiderte er.
»Das Thema behagt dir nicht«, sagte Olkodan. »Ich wollte dich nicht aushorchen.«
Der Zwerg nickte und hob den Finger an die Lippen. Olkodan hörte ein leises Geräusch. Dort bewegte sich etwas auf dem Weg vor ihnen, und es klang nicht nach einem Igel.
Alvydas war stehen geblieben und hob nun die Hand, um die Gefährten heranzuwinken. Er sah Trurre an und lächelte. »Du oder ich?«, fragte er.
Der Zwerg zwinkerte. »Du. Ich bin schließlich nur zu Besuch hier.« Er verschränkte die Hände auf seinem Stock und lehnte sich gegen einen Baum.
Alvydas bedeutete Olkodan, sich zu Trurre zu gesellen, und stellte sich dann neben die beiden. Nichts geschah. Olkodan sah Trurre fragend an, aber der blickte nur schweigend geradeaus und schien zu lauschen.
Nach einer Weile wurden die Geräusche lauter. Das Stampfen von Pferdehufen, das Klirren von Waffen und gedämpfte Stimmen waren zu hören. An der Biegung des Pfades tauchten weich glühende Elbenfunken auf, die die Silhouetten von Reitern und Pferden aus der Nacht schnitten. Zaumzeug glänzte matt, und die satten Farben der Elbenuniformen leuchteten in dem schwachen Licht, das über den Händen der Reiter schwebte.
Olkodan stieß Trurre an. Sie mussten sich schnellstens verbergen!
Der Zwerg legte begütigend eine Hand auf Olkodans Arm und schüttelte leicht den Kopf. Still!, formten seine Lippen. Die Gardisten zogen so dicht an ihnen vorüber, dass Olkodan sie hätte berühren können. Eins der Pferde wandte ihnen den Kopf zu und schnaubte leise, aber die Soldaten schienen sie nicht zu bemerken.
Dann waren sie vorüber. Olkodan bemerkte, dass er den Atem angehalten hatte. Trurre schnalzte anerkennend mit der Zunge: »Saubere Arbeit, alter Mann.«
Olkodan zuckte zusammen, aber Alvydas schien die respektlose Anrede nicht zu ärgern. Er nickte nur sanft und deutete auf den wieder stillen Pfad.
Irgendwann bat Alvydas um eine Pause. Er ließ sich neben einer krummgewachsenen Esche zu Boden sinken und lehnte sich mit geschlossenen Augen an den Stamm wie an die
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