Elbenzorn
der verzweifelt nach dem Faden suchte, der ihn durch dieses Labyrinth führen würde.
»Rutaaura, die Mondleuchtende«, erwiderte Trurre feierlich. »Rutaaura, die mir eigenhändig den Kopf abschrauben wird, wenn sie herausfindet, dass ich hier an deinem Tisch sitze und dir einfach von ihr erzähle. Sie ist ein wenig geheimniskrämerisch, deine Schwägerin.«
»Wenn das stimmt, ist nicht nur sie geheimniskrämerisch«, murmelte Olkodan verblüfft. »Ivii hat mir nie von einer Schwester erzählt.«
Trurre seufzte leise, und ein Schatten zog über sein Gesicht. »Sie hat ihre Gründe dafür«, sagte er kurz. »Wir sind keine gute Gesellschaft für Leute wie dich. Ordentliche Leute, die Kinder haben und Nachbarn, die Bier brauen, und sich keine Gedanken machen wollen über Dinge, die dunkel und fremd sind …« Er versank in Schweigen, und der gefüllte Becher blieb lange Zeit unbenutzt auf dem Tisch stehen.
Olkodan betrachtete ihn nachdenklich. Die Geschichte des Zwerges hatte mehr Fragen aufgeworfen, als sie geklärt hatte. Es war höchst ungewöhnlich, dass eine Elbin sich von ihrem Volk entfernte, und er hatte noch nie davon gehört, dass ein Elb verstoßen worden wäre. Er konnte sich nicht vorstellen, aus welchem Grund so etwas geschehen sollte.
Dass der Zwerg nicht bei seinem Volk lebte, war ebenso seltsam. Vielleicht hatte Trurre Silberzunge ein Verbrechen begangen, für das er mit der Verbannung bestraft worden war – aber diese Vorstellung erschien Olkodan beinahe lächerlich, auch wenn er Trurre erst seit Kurzem kannte.
»Was hast du also vor?«, fragte der Elb, um das Schweigen zu brechen. »Du kannst eine Weile hier bei mir bleiben. Hier ist Platz genug für dich, und solange Iviidis bei Hofe ist, freue ich mich über Gesellschaft. Es ist nicht angenehm, allein zu essen.«
»Oder zu trinken«, erwiderte der Zwerg, mit einemmal wieder sichtlich aufgemuntert, hob den Becher und trank Olkodan zu.
Dann stand er auf, verbeugte sich feierlich vor dem jungen Elben und sagte: »Trurre Silberzunge, Groffins Sohn, dankt dir für deine Freundlichkeit, deine Gastlichkeit und dein hochherziges Anerbieten, einem Zwerg ein Dach über dem Kopf, ein Bett und einen Platz an deinem Tisch zu gewähren. Zwerge und Elben sind wahrlich Feinde gewesen, seit es die ewigen Berge gibt. Aber, bei Orrins Hammer und bei meinem Wort als Groffins Sohn – das soll ein Ende haben!« Er reichte Olkodan, der unwillkürlich ebenfalls aufgestanden war, die Hand hin, die der Elb ein wenig verlegen ergriff. »Das soll ein Ende haben«, wiederholte Trurre leise und nachdrücklich. Er hielt die Hand des Elben einige Atemzüge lang fest, dann ließ er sie abrupt los und wandte sich ab. Olkodan meinte, das Glitzern von Tränen in den Augen des Zwerges gesehen zu haben – aber darin hatte er sich wahrscheinlich getäuscht, denn Trurre fuhr in nüchternem Ton fort: »Ich werde deine Gastfreundschaft noch für eine Nacht beanspruchen, wenn ich darf. Dann mache ich mich wieder auf. Das hier ist kein Platz, an dem sich ein Zwerg länger herumtreiben sollte. Und du könntest Schwierigkeiten deswegen bekommen, das will ich nicht. Es war kein guter Gedanke von mir, hierherzukommen, obwohl ich froh darüber bin, dich kennengelernt zu haben.«
Olkodan protestierte, aber Trurre unterbrach ihn mit einer seltsam herrischen Handbewegung, die gar nicht recht zu dem jovialen kleinen Mann passen wollte. Er stand da, beide Beine leicht gespreizt und fest in den Boden gestemmt, und hatte sich zu seiner vollen, nicht besonders imposanten Höhe aufgereckt. »Auch wenn ich nicht an deinem Tisch sitze, werde ich über dich und deine Familie wachen – und das nicht, weil ich es jemandem versprochen habe. Ich bin Trurre, Groffins Sohn. Meine Freunde können sich immer auf mich verlassen.«
Er wandte sich um und stapfte über die Wiese zu seinem Pony.
Olkodan sah ihm verblüfft nach. Der Zwerg wechselte seine Stimmungen wie manche Frühlingstage ihr Wetter – und der Elb verstand nicht recht, was das alles zu bedeuten hatte. Aber anscheinend hatte sich Trurre gerade feierlich zu seinem Freund ernannt, und das fühlte sich durchaus gut und beruhigend an.
Sie sprachen an diesem Tag nicht mehr viel miteinander. Trurre war erneut in eine fast grüblerische Stimmung versunken, und Olkodan ging es ähnlich. Doch in der Abenddämmerung saßen beide nebeneinander auf der Bank vor dem Haus, blickten in den Garten und plauderten über friedliche, nichtige Dinge.
Der
Weitere Kostenlose Bücher