Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
Vom Netzwerk:
Mantel, und keiner von ihnen bemerkte mehr von ihr als einen kleinen Lufthauch, der nach Sand und Salz roch.
    Die hohe Mauer, die Rookhans Anwesen umgab, bildete kein ernsthaftes Hindernis für sie. Sie wählte die Stelle, die am weitesten vom Eingangstor entfernt war, um gewandt wie eine Bergkatze hinüberzuklettern. Drinnen blieb sie stehen, um sich zu orientieren. Es war finster, die mondlose Nacht lag drückend wie ein Tuch über dem Gelände. Der schwere, nach Reichtum schmeckende Geruch von feuchter, fruchtbarer Erde und wachsendem Grün hüllte sie ein.
    Ihr scharfer Elbenblick zeigte ihr die Umrisse eines Gebäudes hinter den Bäumen, zwischen denen sie stand. Lautlos wie ein Schatten ging sie durch den kleinen Hain – Pinien, wie der kräftige, harzige Geruch ihr verriet. Ihre Füße schritten ohne Rascheln über einen dichten Teppich von trockenen Nadeln. Sie trat aus dem Wäldchen und überblickte die Rasenfläche, die das weitläufige Gebäude umgab. 
    Nichts regte sich. Das Haus lag dunkel und still da, nur im zweiten Geschoss des Westflügels war noch Licht zu sehen, das gedämpft durch die Fensterläden drang. Rutaaura lief über die freie Fläche und verschmolz mit dem Schatten der Hauswand.
    Das Gebäude war nach südländischer Bauart verschwenderisch mit ausladenden Balkonen bestückt. Die Säulen und Vorsprünge aus sandfarbenem Stein boten ihren Händen und Füßen genügend Halt und Griffmöglichkeiten, daran emporzuklettern und sich auf einen Altan im zweiten Geschoss zu schwingen. Sie kauerte sich nieder und lauschte. Ihre Nachtsinne verrieten ihr, dass sie noch immer unentdeckt geblieben war. Sie betastete den hölzernen Laden, der die zweiflüglige Tür ins Innere verschloss, und fand die Stelle, an der der Riegel saß. Wie sie es sich erhofft hatte, waren die Läden im oberen Geschoss nur nachlässig gesichert. Sie zog ihren Dolch aus dem Gürtel, schob ihn zwischen die beiden Türflügel und drückte den Riegel nach oben. Es klapperte leise, und sie konnte die Tür öffnen.
    Rutaaura schüttelte den Kopf und verstaute den Dolch wieder. Morgen würde es ein Riesendonnerwetter geben, und der Bedienstete, den es treffen würde, tat ihr fast leid. Rookhan war kein angenehmer Mensch, und ganz sicher behandelte er sein Gesinde nicht besser, als er den Rest der Welt behandelte.
    Sie zog die Läden hinter sich zu und schob den Riegel wieder vor. Die Luft im Zimmer war stickig, es roch nach parfümiertem Räucherwerk. Sie orientierte sich kurz und wählte dann eine Tür, von der sie annahm, dass sie auf einen Gang führte.
    Auch hier war es dunkel. An den Wänden waren Halterungen für Kerzen und Öllampen zu sehen, aber sie waren leer. Rookhan wäre nicht so reich geworden, wie er es war, wenn er zu Verschwendung geneigt hätte. Rutaaura fühlte sich wohl in der Dunkelheit. Sie glitt lautlos an der Wand entlang in die Richtung, in der sie Rookhans Gemächer vermutete. Er war schon immer ein Nachtmensch gewesen, und daran hatte auch sein Wohlstand nichts geändert.
    Sie blieb vor einer Tür stehen, unter der ein kaum sichtbarer Lichtschein hervordrang. Behutsam umfasste sie die Klinke und schob die Tür einen Spalt auf. Soweit sie sehen konnte, war das Zimmer leer. Sie hatte es vermutet, denn das Fenster, dessen Licht sie von draußen erblickt hatte, musste zu einem Raum hinter diesem gehören.
    Sie schob sich durch den Türspalt, schloss die Tür lautlos hinter sich und dankte stumm dem Bediensteten, der die Angeln so sorgfältig geschmiert hatten. Der Boden des Gemaches war dicht mit dicken, kostbaren Teppichen belegt, die ihre Schritte dämpften. Schnell hatte sie den Raum durchquert. Sie lauschte kurz, dann atmete sie tief ein und wieder aus, straffte die Schultern und öffnete die Tür.
    Rookhan saß in kostbare Seidengewänder gehüllt inmitten eines prachtvoll ausgestatteten Schlafraums an einem erstaunlich schäbigen Schreibtisch. Er blickte auf, den Mund schon zu einer scharfen Zurechtweisung geöffnet, die dem frechen Diener zugedacht war, der einfach so hereinplatzte, und erstarrte. Seine Hand glitt über die Tischplatte zu dem Messer, das dort lag.
    »Guten Abend, Rook«, sagte Rutaaura. 
    Der Gesichtsausdruck des Mannes wandelte sich von äußerster Alarmbereitschaft zu einem Ausdruck missmutigen Erstaunens. »Ruta«, sagte er mit dem heiseren Flüstern, das seine beinahe zerstörten Stimmbänder noch hervorbringen konnten. »Du kommst unangemeldet. Wer hat dich

Weitere Kostenlose Bücher