Elbenzorn
ballte fest die Fäuste im Schutz ihrer Robe. Ihre Finger hatten zu zittern begonnen, aber sie ließ sich ihre plötzliche Furcht nicht anmerken. Anscheinend war Rookhan schon vor dem heutigen Abend über ihr Eintreffen in Sandanger bestens unterrichtet gewesen.
Die Tür öffnete sich, und ein hochgewachsener Gardist stand auf der Schwelle.
»Tritt ein, Dregg. Und du, Marre, bleib hier«, befahl Rookhan. Der Diener, der dem Uniformierten die Tür geöffnet hatte, trat gehorsam ins Zimmer und blieb neben seinem Herrn stehen. »Dregg, das hier ist Rutaaura. Sie wird morgen mit ihrem Begleiter zu mir vorgelassen.« Der Gardist musterte sie schweigend und nickte.
»Marre, wer hatte heute die Aufgabe, sich um die Fenster und Türen in diesem Geschoss zu kümmern?«
Der Diener wurde blass. »Ich, Herr«, sagte er leise.
»Du warst nachlässig, Marre«, flüsterte der beleibte Mann. Sein Mopsgesicht war ausdruckslos, die kalten Augen schienen den Diener mit ihren Blicken aufzuspießen. »Du weißt, dass ich keine Nachlässigkeit dulde.«
»Ja, Herr«, erwiderte der unglückliche Bedienstete eilig. »Es tut mir leid, Herr. Es wird nicht wieder vorkommen.« Er verbeugte sich tief.
»Ich weiß, Marre, das wird es nicht«, sagte Rookhan. Er machte eine kurze, blitzschnelle Bewegung mit der Hand. Der Diener ächzte leise, und statt sich wieder aufzurichten, sackte er zu Rookhans Füßen zusammen. Der wandte sich gleichgültig ab, und Ruta sah, wie er ein schmales Messer wieder in seinem Ärmel verschwinden ließ.
»Lass das wegräumen«, sagte er zu dem Gardisten und sah Ruta kalt an. »Du wirst ab jetzt den Haupteingang benutzen, wenn du zu mir willst.«
Rutaaura biss die Zähne zusammen. Rookhan hatte ihr ein deutliches Zeichen gegeben, sie würde gut daran tun, es nicht leichtfertig zu missachten. »Morgen gegen Mittag werde ich kommen – durch den Haupteingang.«
Rookhan nickte und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Der Gardist öffnete die Tür und ließ Ruta den Vortritt, und als sie durch das vordere Zimmer wieder hinaus auf den Gang trat, konnte sie hören, wie er den Toten aus dem Gemach schleifte.
Lluigolf war noch wach, als sie in ihr Quartier zurückkam. Er lag auf seiner Decke, die er auf dem mit Strohmatten bedeckten Boden ausgerollt hatte, sein Bündel unter dem Kopf, und rauchte. Im Zimmer war es dunkel, das Fenster stand offen, und von draußen drang das quakende Zirpen der Froschgrillen herein.
Ruta setzte sich neben ihn, lehnte sich gegen die Wand und begann, den Turban abzuwickeln.
»Müde?«, fragte er, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. Sein Gesicht lag im Schatten, aber sie konnte in seiner Stimme hören, dass er sich Sorgen gemacht hatte.
»Müde, ja«, murmelte sie. Ihre Glieder waren mit einem Mal bleischwer.
»Bist du noch im Besitz aller wichtigen Körperteile?«, fragte er.
Ruta warf den langen Stoffstreifen achtlos in die Ecke und rieb sich kräftig durch die knisternden Haare. Der allgegenwärtige Sand kroch sogar durch die gewickelten Lagen des Turbans. »Alles an Ort und Stelle«, erwiderte sie mit ebenso gespielter Leichtigkeit. »Und Rook ist noch genauso widerlich, wie ich ihn in Erinnerung hatte.«
»War es sehr schlimm?«, fragte er mitfühlend. Er hatte die Pfeife beiseitegelegt und sich aufgerichtet. Rutaaura begann sich auszukleiden. »Ich dachte, er wäre mir besser gesonnen«, sagte sie. »Immerhin habe ich ihm mal sein verdammtes Leben gerettet.« Sie schnaubte. »Manchmal frage ich mich wirklich, ob das ein Fehler war.«
Lluigolf zischte wie eine gereizte Schlange. »Rookhan ist ein Zwalkrajk . Falsch bis ins Mark seiner Knochen. Wenn es ihm Profit bringen würde, seine Mutter an jamallische Sklavenjäger zu verkaufen, würde er das tun.«
Rutaaura schüttelte sich. »Du glaubst also, dass Rook eine Mutter hat?«, fragte sie. »Ich bezweifle das. Er ist aus einem Skrall-Ei gekrochen.« Sie zog die weichen Kurzstiefel von den Füßen, schüttelte den Sand heraus, krümmte und streckte ihre langen Zehen und stöhnte leise.
Lluigolf lachte sein Wolfslachen und zog Ruta in seinen Arm. Beide saßen eine Weile da und lauschten den nächtlichen Geräuschen. Ruta kraulte gedankenverloren die dichten Haare auf seinem Unterarm und ertastete mit sensiblen Fingern die lange Narbe, die sich vom Ellbogen zum Handgelenk zog. »Du hast mir gar nicht erzählt, dass du ein böses Zusammentreffen mit Rookhan hattest«, sagte sie beiläufig.
Sie sah Lluis nicht an, aber
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