Elchmus (German Edition)
auch keine Kippen mehr. Aber Nikotin muss dringend rein. Langsam dreht er immer mehr durch. Falls das überhaupt noch geht.
Ein Zettel fliegt ihm vor die Füße, aber nicht vor seine Linse. „Sonnenmilch, Shampoo, Toilettenpapier, englische Pfund, Kekse“ , steht draufgeschrieben. Darunter eine deutsche Handynummer mit dem Namen Elke. Der Zettel sieht ihn, er aber den Zettel nicht. Der Wind hat aufgehört zu wehen.
Holger ist sich nicht sicher, ob er einfach Leute ansprechen soll, ob sie ihn umsonst mitnehmen oder ob er sich bei der nächsten Fähre einfach als Fußpassagier ausgeben und ohne Ticket drauf los marschieren soll. Er überlegt, was das Beste ist. „Mann, verfickte Scheiße. Ohne Kohle bist du nichts in diesem Leben“, grummelt er sich selber zu.
„Lassen sie ihre Tasche mal nicht so unbeaufsichtigt hier rumstehen. Sonst schnappt sie sich noch einer“, sagt ein Opa mit Riesenohren freundlich zu ihm. Wahnsinnige dicke schwarze Borsten wachsen daraus.
Er steht rauchend vor WH Smith und kann sein Glück kaum fassen. Offenbar hat das Ohr gedacht, dass sei seine Tasche. Und das ist sie jetzt auch.
„Vielen lieben Dank“, sagt er immerhin so normal wie möglich und versucht dabei nicht auf die Ohren des Opas zu starren oder sich sonst irgendwie bei irgendwem unbeliebt zu machen.
„Hab gerade nur eine gemütlich geraucht“ , stapft er während des Sprechens auf seiner bereits ausgetretenen Kippe herum. Dann schnappt er sich die Tasche und verdünnisiert sich mit dieser unauffällig in Richtung parkende Autos.
Aber bereits beim zweiten Wagen in der zweiten Reihe geht ihm die Puste aus. Er hockt sich erschöpft hin, hat Schwierigkeiten die Tasche zu öffnen. Schließlich hat er Erfolg. Auch eine Stange Zigaretten lacht ihn freudig an. Zwar nicht seine Marke, aber egal. Gibt doch noch Sonne in diesem Sommer für ihn.
Scheiße, keine Knete. Aber was ist das da? In der Seitentasche steckt ein Autoschlüssel. In einem neuen unbenutzten Etui. Ingo, Bingo, der Kandidat hat hundert Punkte. Er packt die Ziggies hektisch in all seine Hosen-und Jackentaschen, und schnappt sich den Autoschlüssel, der nun nur noch das passende Auto sucht.
Ein Pärchen schlängelt sich durch die parkenden Autoreihen. Er lässt die Tasche einfach stehen und verpisst sich schnell wieder zum WH Smith.
Da krakelt dann auch wirklich ein Franzose rum. ‚Merdre, verfluchte Sheisssssssssse. Haben sie jemanden eine Tasche, so eine blaue, stibitzen gesehen? Non? Merdre!“
Ah, denkt Holger, alles wird gut.
„Trau keinem über 30“, haben sie in der Schule immer gesagt. „Gerade im Urlaub wird immer viel geklaut“ , hat sein Vater immer gesagt, obwohl er in seinem Leben niemals aus Bochum rausgekommen war. Holger ist froh, dass er noch nicht so alt ist. Aber strafmündig ist er schon lange. Und die Polizei wird kommen. Und dann wird er weder französisch noch englisch verstehen und/oder sprechen.
Die Polizei wird ihn auch nicht mehr zu seinen Eltern nach Hause bringen. Er wird in ein englisches Gefängnis kommen und die sind bestimmt nicht so komfortabel wie die in Deutschland. Hatte er kürzlich im Fernsehen gesehen. So eine Edelzelle. Komplett neu, inklusive Gebäude und Flachbildschirmfernseher ohne Kabel-urogon. Das Monstrum würde ihn persönlich zu Hause noch umbringen.
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............ Je länger Elke aufs Meer guckt, desto besser wird ihre Stimmung. Es tanzt und tobt vor ihren Augen, eine Palme biegt sich lachend im Wind, eine andere winkt ihr zu. Seit einiger Zeit liegen sie nun am Strand im bloßen Sand.
Elkes Blase ist endlich geplatzt wie ein Traum. Ihr Traum geht aber jetzt endlich weiter, hat eigentlich gerade erst angefangen. Auswandern ist prima.
Kaum zu glauben, wie traumhaft schön es in England ist. Es ist so ruhig hier und ein echter Kontrast zum lauten London, aber doch so viel cooler als das langweilige Deutschland. Und all das hier spiegelt auch ihre Stimmung wieder. Gestern noch Lebensangst, heute himmelhoch jauchzend.
Auch Ralf genießt die Stille und lauscht den Erzählungen des Meeres. Im Takt der Wellen streichelt er Elkes Hand. Aber nach einiger Zeit ruft der Hunger. Ein paar Straßenzüge weiter finden sie einen Tesco. Ralf geht auch Tanken, Elke geht bezahlen und läuft nicht weg. Ralf beglückwünscht sich insgeheim noch mal selber. Im Tescos packen sie alles in den Korb, was sie tragen können. Wenn man hungrig einkaufen geht, hat man Lust auf alles und vieles. Allein
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