Elchmus (German Edition)
lieben. Und der Ort hier schreit nach Urlaub.
Elke denkt gar nicht mehr daran, dass sie mal als Geisel in diesem Auto gesessen hat. Sie fahren bis in den frühen Abend hinein. Der Weg ist weit bis nach London. Im Radio lässt Tanya Stephens heute auf sich warten. Es wird nur unbekanntes Zeug gespielt. Auch kein Blue. Lied reiht sich an Lied und kein Moderator hilft auf die Sprünge.
Als sie endlich in einem westlichen Vorort von London ankommen, machen sie eine kurze Pause. Eine Horde gestresster Vorstadtjugendlicher hängt rauchend und saufend auf dem Rastplatz rum. Vielleicht sind die 15 oder 16, die Mädchen komischerweise auch. Elke hat noch ihren Tauchanzug an (ihr zurzeit wärmstes Kleidungsstück im Trockenzustand) und macht eine gute Figur darin. Das denken auch wohl die Jungs. Alle nicken ihm anerkennend zu.
Ralf braucht einen Moment bis er versteht, was anders ist als sonst. Die Jungs lächeln ihm zu. Seine alte Mühle aus Deutschland mit fremden Kennzeichen wirkt hier exotisch. Auch die Mädels lachen ihn an. Seine Boxershorts wirken hier ohne diese ganzen blonden Surfer gar nicht mehr Scheiße, sondern machen ihn zur coolen Sau. Verlotterte Arbeitslose aus dem Opelwerk sehen anders aus.
Er hätte gern ein Foto von diesem Augenblick. Vor der Hochzeit. Nach der Royal Wedding. Das Foto wird in die Geschichte eingehen. Ralf lächelt sein coolstes Zahnpastalächeln in die Kamera. Wer war eigentlich der Junge auf der Kinderschokolade? Oder der auf der Zwiebackpackung? Und wo sind sie heute? Seine zerzausten Haare wippen munter im Wind. Er ist beliebt wie Denzel Washington, der immer alles schafft. Aber bei weitem nicht so langweilig wie dessen Filme.
Das Navi zeigt, dass die Themse ganz in der Nähe ist. Ralf klappert mit dem Schlüssel und läutet damit die Abfahrt ein. Elke steht nach wie vor am Auto und macht Dehnübungen. Auch Ralf ist müde nach der langen Fahrt und die Aussicht auf das Hochzeitstamtam ist für ihn auch nicht gerade belebend. Die Themse samt ihren Grünflächen bietet dahingegen eine gute Möglichkeit, um eine Nacht im Freien zu verbringen. Hier vor den Toren der Stadt. Ist umsonst dazu.
Endlich schmeißt sich auch Elke wieder ins Auto. Und knallt die Tür laut zu. „Campen?“, fragt er müde. Elke nickt. Ralf schließt seine Tür leise. Feierabend. Später an der Themse funkeln die Sterne nicht. Auch nicht vor den Toren dieser riesigen Stadt.
Sie wollen morgen in Mile End in zum Camping-Platz umfunktionierten Mile End Park ganz offiziell zelten (und irgendwie Elkes Sachen aus ihrem nicht bezahltem Studio holen). Clapham ist zu teuer. Heute müssen sie jedoch noch einmal darauf achten, nicht entdeckt zu werden. Sie wollen immerhin ihren Neuanfang schon bald mit einer reinen Weste beginnen.
Die Themse fließt leise. Viel leiser als das Meer. Im Grunde ist sie zurzeit ein dünnes Rinnsal, mit englischem Rasen davor. Der Sommer hat lange keinen Regen mehr gegeben. Ralf hat den Wagen ein Stückchen weiter weg vom Schlafplatz geparkt. Elke liegt auf ihrem geliebten Polarkreis-Schlafsack. Es ist noch immer heiß. Morgen brauchen sie dringend eine Dusche. Ihre Haare sind verschwitzt, aber haben den Wirbel verloren. Sie sieht gut aus. Ralf auch. Ein gleichmäßiger und dunkler Teint steht seinem Gesicht; auch der dunkle Einwochenbart schmeichelt ihm. Ralf versucht erfolglos im Schlafsack Schlaf zu finden. Schließlich öffnet er den Reißverschluss, um die Hitze entkommen zu lassen. Bringt auch nichts. Seine müden Knochen bewegen sich nur noch langsam. Sind kraftlos. Ralf schätzt, dass er in den letzten Wochen mindestens 20 Kilo abgenommen hat. „Gut siehst du aus“, hört er seine Mutter in Gedanken sagen. Elke legt ihren warmen Kopf neben seinen überhitzten Körper. Ralf dreht sich unauffällig weg. Er ölt. Trinkt einen tiefen Schluck. Vor einer gefühlten Ewigkeit hat er Elke in London überfallen. In einem anderen Leben. Ein Auto fährt lärmend vorbei.
Er wünscht sich eine kalte Dusche und ein gutes neues Leben, das ihn glücklich macht. Auch die Vorstadtpolizei schläft heute oder ist schon in Central London. Langsam driftet er in den dringend benötigten Schlaf. Das alte Leben ist endlich vorbei. Nichts und niemand stört sie in dieser Nacht.
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............ Als Elke wach wird, liegt Ralf lächelnd und schlafend neben ihr. Elke atmet tief durch. Hoffentlich wird dieses Mal alles gut. Und das auch langfristig. Aber hinter der schon wieder strahlenden englischen Sonne
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