Elchmus (German Edition)
in den zum Zeltplatz umfunktionierten Park in Mile End. Ralf lässt seine Füße durch das Gras gleiten. Die Zehenhaare sind seit heute Morgen endlich weg. Zwei Spanier unterhalten sich lauthals. Eine Truppe Lederhosen bayert an ihnen vorbei. Sie verstehen kein Wort. Ein Vogel trinkt vom stinkenden Kanal und piept dabei kein einziges Mal. Dabei hat er extra die frische Meeresbrise für die große Hochzeit verlassen und Handyklingel-Gepiepse zu seiner eigenen Bespassung bestens vorbereitet. Der Kanal riecht nach Pisse und das schon einen Tag vor dem großen Event.
„Hier sind wir bald wieder weg“, sagt Elke. Die warme Sonne genießen sie trotzdem. Leute aus aller Welt kommentieren ihr pinkes Zelt. „Ich versuche mal Holger zu erreichen“, sagt Ralf. „Der ist mittlerweile bestimmt in seiner Bude in Deutschland“. Frauen müssen immer alles falsch interpretieren und ihr neues Leben wartet in St. Ives doch schon auf sie.
„Äh, also, wir haben jetzt schon so lange kein Lebenszeichen mehr von uns gegeben“ , stammelt Ralf vorsichtig. Er hat ja Recht, denkt sie. Und steht auf. Sie muss sich auch mal wieder bei ihrer Familie melden.
Im Park finden sie keine Telefonzelle. Keine normale, aber auch keine rote. Handy-Zeiten gibt es eben nicht erst seit gestern. Auf der Mile End Road rauscht der Verkehr an ihnen vorbei. Direkt vor dem Eingang der U-Bahnstation Mile End finden sie dann noch ein graues „Payphone“. Hängend an der Wand.
Er ist aufgeregt und auch nervös. Schmeißt Geld ein und tippt Holgers Nummer. Ungeübt. Nicht als Kurzwahl Nummer 1. Weiß die Nummer trotzdem noch auswendig. Ist gespeichert im Langzeitgedächtnis. Er hört das Freizeichen. Und dann schon den Anrufbeantworter. „Holger ist nicht zu Hause. Bin nach Schicht wie immer über Handy erreichbar“, sagt das Band. Unverändert. Und dabei ist mit Schicht schon lange Schicht im Schach.
Ralf legt auf. Schweißnass ist sein Ohr. Seine Finger zittern. Elke lehnt geduldig wartend in ihrem grauem Rock und grünen T-Shirt am Gelände des U-Bahnausgangs. 80 Cent zeigt das Display an. Sein Guthaben. Ein roter Doppeldecker-Bus knattert vorbei. Ein blinder Mann schlägt seinen weißen Stock geübt und laut an das Drehkreuz. Es hallt in seinem schweißnassen Ohr. Er wählt die Nummer von Holgers Cousin. Wieder aus dem Gedächtnis. Vollständig. Will eigentlich niemanden aus Holgers Familie aufscheuchen oder verschrecken oder so und kann es auch nicht. „Hallo, hier ist der BVB Fanclub“, spricht auch hier die Maschine.
„Verdammte Hühnerkacke“, hört er da plötzlich. Und sieht wie Elke gegen das Gelände ged rückt wird. „Du blöde Gans. Nice to see you“. Vielleicht ein Traum? Nein, er erkennt Holger sofort. Auch von hinten. „Holger“?“, fragt er dennoch zögernd. Der dreht sich um und lächelt erst mal gar nicht.
„Du bist echt das allerletzte Arschloch“, sagt Holger, und nimmt ihn dabei in den Arm. „Du alter Heckenpenner!“. Das klingt auf einmal gar nicht mehr asi. Eher wie eine Liebeserklärung. Holger ist halt kein Mann großer Worte, aber ein Mann dummer Sprüche.
Die Arme umschlingen ihn noch immer. Fühlen sich an wie die von Paul, dem Kraken-Orakel, der auch in England zu Ruhm gekommen ist. Plötzlich hält Holger inne und die Arme auch für Elke auf. „Tante Gisela, willkommen im Club. Gehen wir zu mir“, marschierter davon.
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............. Die an sich mehr als neugierige Elke hat sich Hals über Kopf in das Badezimmer von Holger verguckt. Quatschen kann sie auch später noch. Das heiße Wasser kurbelt ihre Gedanken an und die königliche Hochzeit wartet in nicht allzu weiter Ferne. Erwartet schöne und duftende Gäste. Langsam wird das Wasser lauwarm. Elkes Haare fühlen sich nach einer Kurpackung an wie Seide. Aber auch ihr Körper hat nicht nur Spaß unter der ersten Dusche mit warmem Wasser seit ihrer Ankunft in England.
Und daher lässt sie das Wasser weiter auf ihm tanzen. Wie den Kochlöffel beim Blindekuh-Spiel auf ihrer Kindergeburtstagsparty, an die sie sich noch erinnern kann, obwohl sie da erst 3 Jahre alt war. Draufgeschlagen hatten sie. Auf alles, was ihnen in die Quere kam. Nichts wird nicht getroffen. Auch der Deko-Delphin aus Meissner-Porzellan musste dran glauben. Eine Minute tägliches Staubputzen weniger für die liebe Frau Mama. Bedankt hat sie sich jedoch nie dafür. Wie mit einem Schlag ist dann auch das Wasser kalt. Elke springt raus.
Holger quakt noch immer mit Ralf. Elke kennt
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