Eleanor Rigby
Schubladen herumzuschnüffeln machte am meisten Spaß. Am ergiebigsten waren dabei die Schlafzimmer. In der Nachttischschublade von jemandem zu stöbern ist, als würde man sein Innerstes kennenlernen. Was die Leute dort alles aufbewahren! - Messer, Schlagringe, Tabletten, Kondome, alte Liebesbriefe, die Antibabypille, Goldmünzen, Sexmagazine, Ausweise, Testamente und einmal sogar eine Luger.
Natürlich lauschte ich ständig darauf, ob ein Auto vorfuhr oder eine Tür entriegelt wurde, aber brenzlig wurde es nur ein einziges Mal — als jemand am anderen Ende des Flurs ein Schlüsselbund auf den Küchentisch pfefferte. Ich sprang aus einem Fenster auf der Rückseite des Hauses und landete in einem Prachthimbeerstrauch — schade, denn ich hatte gerade mit großem Vergnügen in einem Album mit Familienfotos geblättert und zu raten versucht, wer mit wem verwandt war und wer die Helden und wer die Versager in der Familie sein mochten. Natürlich hatte ich mir dabei auch überlegt, wen ich süß fand und wen nicht. Bei all diesen Einbrüchen würdigte ich jedoch die Sexmagazine keines Blickes - obwohl ich dort ganz allein war, brachte ich es nicht fertig, so ein Heft aufzuschlagen. Und das, wo ich doch der Leiche einer Drag Queen unter den Rock geguckt hatte. Aber das war der Tod, dies hier war Sex. Wie gesagt, um mir nackte Körper anzuschauen, musste ich immer noch mit diversen Bussen quer durch die Stadt fahren, und selbst dann schreckte ich jedes Mal davor zurück, blieb im vorderen Ladenteil und blätterte in der Newsweek und in Strickkatalogen.
~15~
Außer mir schien jeder auf dem Charterflug nach Italien verliebt zu sein oder nach Liebe zu suchen, als wäre sie ein neues Restaurant, von dem man irgendwo gehört hatte. Elliot, der Klassenrowdy, war in Colleen verliebt, die zukünftige Hals-Nasen-Ohren-Ärztin, die in Alain verliebt war, den zukünftigen Volvo-Händler, der Christy Parks liebte, die zukünftige Gärtnereiverkäuferin, und so weiter. Fünfzehn Jahre später erfuhr ich, dass Christy etwas mit unserem Lateinlehrer hatte, Mr. Bürden. Sie liefen mir an einem bewölkten Samstagnachmittag auf Granville Island über den Weg, wo sie zwischen lauter missgelaunten Möwen, gelangweilten Touristen, Bagels und Pantomimen gerade Croissants kauften. Mr. Bürden hatte seine welligen Haare immer auf eine Weise frisiert, die ich für eitel hielt, doch inzwischen war er so in die Breite gegangen, dass er vermutlich in einem Laden für Übergrößen einkaufen musste. Christy sah aus wie immer, außer dass sie vielleicht sieben graue Haare hatte und ihr Teint davon zeugte, dass sie zu viel Zeit in der Sonne verbracht hatte. Wir gingen einen Kaffee trinken, um in Erinnerungen an die Schulfahrt nach Italien zu schwelgen. Christy war nie unfreundlich zu mir gewesen, aber auch nie besonders verbindlich. Dass sie nun plötzlich so nett war, hatte ich nicht erwartet.
Als wir über den Flug nach Rom redeten, meinte sie: »Mann, war das hart. Alle rauchten, die Flugzeugsitze waren so groß wie ein Blatt Papier, und dieser Astronautenfraß, den wir da bekommen haben — meine Verdauung war in Rom die ganze Zeit total gestört.«
»Meine auch.«
»Aber ich hab mir dann schließlich meinen Lehrer gekrallt.«
Mr. Bürden beeilte sich einzuwerfen: »Wir haben uns bei einem Linedance-Kurs wiedergetroffen. Auf der Reise ist nichts passiert.«
Ich sagte: »Erinnerst du dich an diese schreckliche Tankstelle?« Die Toiletten unserer Jugendherberge waren mit einer Art Pappmache verstopft, und da die Klempner in jenem Monat landesweit streikten, mussten wir uns eine Alternative suchen.
»Wie könnte ich die vergessen? Und die Typen, die dort arbeiteten — so gutaussehende Männer hab ich nie wieder zu Gesicht gekriegt.«
Mr. Bürden schaute Christy an. »Davon hast du mir nie etwas erzählt.« Er nippte an seinem Americano. »Es ist ein Wunder, dass ich durch den ganzen Stress auf dieser Reise keinen Krebs gekriegt habe. Das war meine letzte Klassenfahrt. Ich war dafür verantwortlich, dass keins von euch Gören entführt oder umgebracht wurde, obwohl euch das vielleicht mal ganz gut getan hätte.«
Es folgte ein betretenes Schweigen, während Christy meine unberingten Finger musterte. »Warst du mal verheiratet, Liz?« »Ich? Nein. Noch nicht. Hab mich nie verliebt.« »Hm.«
Glaubt mir — in dem Moment, wenn jemand, der in einer Beziehung lebt, herausfindet, dass sein Gegenüber Single ist, beginnt sein Blick meist
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