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Eleanor Rigby

Eleanor Rigby

Titel: Eleanor Rigby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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unkonzentriert umherzuschweifen. Mir lag daran, die beiden bei der Stange zu halten. »Meine Theorie zum Thema Liebe habe ich ja aus einer TV-Spielshow.« Sie starrten mich mit ihrem Liz-spinnt-Blick an. »Ihr müsst nicht glauben, dass ich mein ganzes Leben damit verbringe, Spielshows zu gucken, aber wenn ich es tue, merke ich mir einfach alles«, sagte ich.
    »Echt?«
    »O ja. Einmal bin ich in eine Show reingeraten, in der die Kandidaten gefragt wurden, wie oft man sich nach Meinung des Durchschnittsbürgers im Leben verlieben kann. Die Antwort lautete sechsmal.«
    Christy sagte: »Sechsmal?«
    Mr. Bürden - Dan - sagte: »Das klingt ein bisschen ... übertrieben. Wie sind sie denn daraufgekommen?«
    »Ich hab keine Ahnung, aber es ist kein Wunder, dass die Menschen fremdgehen. Sie haben all diese Liebe in sich, und die wollen sie verbrauchen, bevor sie sterben.« An dem Blick, den Christy und Dan wechselten, merkte ich, dass ich einen wunden Punkt getroffen hatte, aber welchen, habe ich nie herausgefunden. Sie standen unvermittelt auf und ließen ihren Kaffee stehen.
    Christy sagte: »Es war schön, dich mal wiederzusehen, Liz.«
    Mr. Bürden war sichtlich sauer auf sie — weswegen, werde ich nie erfahren -, er verabschiedete sich brüsk, und schon waren sie in den Massen von Nahrung suchenden Vögeln, bibbernden Menschen und Straßenmusikanten untergetaucht, die schief Neil-Young-Songs trällerten.
    Ich musste daran denken, wie anders Mr. Bürden damals in der Schule gewesen war. Er war der Lateinlehrer, der Sport unterrichten musste — man traf ihn nie ohne seine dicken weißen Frotteesocken und die vernickelte Trillerpfeife, die über seinem grauen Kapuzenpullover baumelte. Mich nahm er kaum wahr, erst nach etwa der ersten Hälfte meines zweiten Jahres bei ihm begann er sich meinen Namen zu merken. Wenn ich mich meldete, schien ihn das allein deshalb zu ärgern, weil ich es war und nicht jemand anders.
    Jetzt glauben Sie bloß nicht, das wäre ein typischer Fall von mangelndem Selbstwertgefühl. Ich habe mich immer gut leiden können. Als Teenager war ich bloß total naiv. Niemand hat mich je zur Brust genommen und mir etwas über den Marktwert von Aussehen und Figur oder — später im Leben — von Geld und Macht erzählt. William und Leslie, Meister auf diesen Gebieten, waren für mich wie Filmstars. Erst in reiferem Alter wurden sie Freunde und Ratgeber für mich, die es als ihre Aufgabe betrachteten, mich darüber aufzuklären, wie es auf der Welt zuging. Bis dahin hatte ich geglaubt, dass wir grundsätzlich alle mehr oder weniger gleichwertig sind und uns entsprechend verhalten.

~16~
    Die Maschine landete zuerst in Montreal, von wo wir zum eine Stunde entfernten Flughafen Mirabel fuhren. Dort mussten wir sechs Stunden lang auf den verspäteten Atlantikflug warten. Als wir an Bord gingen, waren Mr. Bürden und wir, insgesamt zwölf Personen, durch den Schlafmangel und das fürchterliche Essen derart angeschlagen, dass wir die schmalen Gänge der 747 mehr oder weniger entlang torkelten. Ein Spaß war das Ganze schon lange nicht mehr. Elliot war von dem Whiskey übel, den er vom Getränkewagen stibitzt hatte, und ich stand durch die Reisetabletten etwas neben mir, weil sie mich müde machten, aber nicht schlafen ließen. Irgendwo über Irland begannen die Geräusche und die Bilder zu verschwimmen, und ich weiß noch, dass alle eine Art Tweedmuster vom Bezugstoff der Flugzeugsitze im Gesicht hatten. Dann, es muss wohl über Frankreich gewesen sein, kam Mr. Bürden so urplötzlich zu sich, als sei Montagmorgen und er müsse eine Sportstunde absolvieren, und rief: »Alle aufwachen. Wir landen in einer Stunde.«

~17~
    Zurück ins Krankenhaus. Ich saß immer noch auf dem Stuhl, schaute Jeremy beim Schlafen zu und fragte mich, was er in seinen Träumen sah. Während ich darüber nachdachte, was für ein Mensch er wohl sein mochte, schlief ich ein. Mit zwanzig ist man zu jung, um richtig erwachsen zu sein, aber in irgendeiner Form sind alle Ansätze bereits da. Ich sah keine Einstiche an seinen Armen und keine Tätowierungen, aber ... ich fragte mich, was er für eine Kindheit gehabt hatte und ... ich hatte einfach keine Ahnung, was ich nun, da er in meinem Leben angekommen war, tun sollte.
    Als die Sonne aufging und er sich trotz der Betriebsamkeit, die die Schwestern, Patienten und Maschinen um ihn herum verströmten, immer noch nicht rührte, hinterließ ich ihm einen Brief, in dem ich ihn ausdrücklich

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